An den vergangenen zwei Tagen habe ich mal wieder meine Mutter im Pflegeheim besucht. Inzwischen hat sie sich recht gut eingelebt und auch wir haben uns mit der neuen Situation seit Dezember letzten Jahres gut arrangiert. Auch wenn die Wogen sich geglättet haben, ist die Krankheit leider nicht aufzuhalten, wie mir gestern einmal mehr vor Augen geführt wurde. Mehr und mehr scheint meine Mutter in eine andere, eigene Welt zu gleiten. Sie sieht und erlebt Dinge, die es so nicht gegeben hat - jedenfalls nicht in meiner Welt. Auch verschwimmt der Sohn, der ich bin, langsam zu ihrem verflossenem Ehemann und die Enkel werden plötzlich unsere Kinder. Um das ganze wieder etwas in die richtige Richtung zu lenken, warf ich dann eine kurze Geschichte meiner Kinder ein und endete mit dem Satz: “Du hast zwei tolle Enkel”, woraufhin sie spontan voller Freude entgegnete: “Du doch auch!”. Sie war glückselig und flirtete fast ein wenig mit mir, ihrem Ex-Mann.
Auch spielt Musik mehr und mehr eine Rolle … natürlich weiß sie, dass ich sehr lange als Musikproduzent gearbeitet habe, aber näher hatte sie sich damit nie beschäftigt. Seit geraumer Zeit hört sie aber immer Musik “von mir” im Radio und ist zu tränen gerührt, gerade meine Stücke von Silbermond wären so toll. Sie erzählt dann immer voller Stolz, dass ihr Sohn das gemacht hat. Allerdings hatte ich nie etwas mit Silbermond zu tun. Was mich auch stutzig macht, dass sie Silbermond überhaupt kennt - hatte sie vorher nie erwähnt oder gehört. Auch hier völlig neue Züge.
Im Gespräch habe ich ihr dann - wie schon so oft - gesagt, dass wir Sie nicht alleine lassen und immer da sind. Ich endete mit “Du bist nicht allein”, was Sie direkt aufgriff und anfing “Du bist nicht allein” zu singen. Ein weiteres mal war ich verblüfft: Meine Mutter steht im Raum und singt! Dass hatte ich in meinen knapp 50 Jahren auch noch nicht erlebt. Sie fragte mich dann, woher dieses Lied kommt und ich war mir auch nicht ganz sicher. Sie sprach dann mit einer Person, die wohl hinter mir gestanden hat (in meiner Welt war dort definitiv niemand) und fragte, ob sie wohl weiterhelfen könne. Voller Freude in den Augen schaute sie mich an und fragte nochmal, ob ich nicht wüsste woher dieses Lied stammt….und sie sang nochmal “Du bist nicht allein”. Dann haben wir uns noch kurz unterhalten und ich bin gegangen. Sie ist direkt in den Aufenthaltsraum und hat mir nicht mal mehr tschüss gesagt - das war auch “das erste mal”.
Als ich wieder zu Hause war, ging es mir zunächst ganz gut, machte sie doch einen ganz glücklichen Eindruck. Doch dann kam es über mich …. die Erkenntnis, was da gerade passiert: Meine Mutter verabschiedet sich mehr und mehr von mir, von dieser Welt und es gibt nichts, was wir dagegen tun können. Das hat mich fast zwei Stunden Tränen gekostet - Demenz ist wirklich eine Bürde für alle Betroffenen. Nach einem guten Gespräch mit meiner Frau, bin ich wieder runter ins Wohnzimmer gegangen und im Vorbeigehen ist mir ein Buch in unserem Bücherregal mit dem Titel “Weg ins Glück” ins Auge gefallen. Ich weiß weder woher das kommt, noch habe ich es bis jetzt gelesen….aber es lag zur richtigen Zeit am richtigen Ort: Meine Mutter ist jetzt auf dem “Weg ins Glück” - weg aus dieser Welt, die leider nicht mehr viel Gutes für sie bereit hält und wir dürfen sie begleiten. Bis sie ankommt bleibt uns nichts weiter, als die restlichen, schönen Momente mit ihr zu genießen. Zusammen in Erinnerungen schwelgen, tränen zu lachen und durch verschiedene Welten zu streifen…denn bald geht sie “weg ins Glück”.
Bleibt gesund und wach!
Comments