
Wer kennt sie nicht, die optischen Illusionen in bildlicher Form - bekannt als Kippbilder. Die nicht aufhörende Treppe, der Fluss dem man optisch einfach nicht folgen kann oder das Pferd, welches auf einen zukommt aber auch von einem wegreitet. Und natürlich die Bilder, mit unterschiedlichen Motiven - ein junges Mädchen welches zur alten Frau wird oder der alte Mann, der aus zwei Körpern besteht. Hier mal ein paar Kippbilder, die ich noch nicht kannte:


(Was im Kopf des Mannes am Meißten vorgeht - von Sigmund Freud)
Finde ich sehr schön ;-)
Alle Bilder (auch das Titelbild) habe ich von der Webseite Kunstbrowser.de.
Was passiert bei einem Kippbild? Das Gehirn verarbeitet die Informationen, die ihm das Auge liefert und interpretiert ein Bild aufgrund der eigenen Erfahrung und des bisher gesehenen. In einem Kippbild sind aber mindestens zwei Dinge zu sehen, die das Gehirn gut einzuordnen glaubt und dementsprechend springt es immer zwischen den verschiedenen Versionen hin und her. Wenn man sich das einmal beim Betrachen eines solchen Bildes bewusst macht, ist das ein wirklich spannender Vorgang - quasi ein Fehler mit System.
Bei mir ist der Begriff des Kippbildes vor ca. zwei Jahren in einem völlig anderen Zusammenhang aufgetreten und begleitet mich seitdem quasi täglich: Im Blick auf die Börsencharts.
Man starrt diese endlosen Kerzen, Balken, Kurven etc. stundenlang an und obwohl sie immer die gleichen Daten Zeigen, verändern sie sich doch - oder vielmehr die eigene Interpretation. Und so kommt es, dass man ein klares Einstiegssignal erkennt und im Nachgang sich dann fragt:
Was hab ich denn da gesehen?
Was man sieht ist immer das vom Gehirn interpretierte Bild und das beruht eben nicht nur auf dem wirklich gesehenen. Es fließen Erfahrungen, Prägungen und auch Wünsche mit ein. Ein Großteil des Börsenhandels lebt davon: Der eine sieht eindeutig eine Abwärtsbewegung, der andere eindeutig eine Aufwärtsbewegung…und schon haben sich Käufer und Verkäufer gefunden.
Je mehr ich in den letzten Tagen darüber nachgedacht habe, desto mehr ist mir aufgefallen, dass wir eigentlich nur Kippbilder sehen - immer und überall. Wir sehen, was wir sehen können und wollen. Als ich mich vor Jahren anfing für Wohnmobile zu interessieren, waren die Straßen auf einmal voll davon. Wo man hinschaute, gab es Wohnmobile. Das gleiche gilt übrigens auch für die Ohren. Gesagte Worte sind nicht gleich gesagte Worte, sondern werden von jedem anders interpretiert - also gehört. So kam schon das ein oder andere mittelschwere Missverständnis auf, obwohl das gesagte völlig anders gemeint war.
Aktuell finden in unserem engeren Umkreis einige Trennungen statt. Da kann man Kippbilder par excellence beobachten: “Du bist an allem Schuld”, “Du hast alles kaputt gemacht”, “Denk doch an die Kinder”, “Wie stellst Du Dir das vor” etc. - jeder kennt diese Sätze. Wenn man dann die beschuldigten zu Wort kommen lässt, fallen exakt die gleichen Sätze - gemeint ist aber genau der andere Partner.
Meine erste Empfehlung bei solchen Sätzen ist immer, sich vor den Spiegel zu stellen und sich das ganze selber an den Kopf zu werfen. Da gehört es meistens auch hin.
Wenn eine Beziehung scheitert, sind genau zwei Leute dafür verantwortlich - und das jeweils zu 50 Prozent, nicht mehr und nicht weniger. Da aber jeder sein eigenes Kippbild sieht, hört und liest, hält jeder sich für den oder die Gute(n). Findet sich natürlich auch in nahezu allen globalen Themen wieder: Der andere ist der Böse und wir sind die Guten. Auch da wieder: Einfach nur in den Spiegel schauen.
Und so laufe ich wieder etwas wacher durch die Welt und betrachte jeden Tag viele hundert Kippbilder und finde spannend, wie sich Situationen im anderen Blick verändern. Je besser man das beherrscht, desto friedlicher und liebevoller wird es um einen herum.
Bleibt gesund und wach!
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