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Routine


Heute Morgen habe ich wie jeden Tag die Kinder zur Schule gebracht und das morgendliche Ritual ist mir bewusst aufgefallen. Normalerweise befinde ich mich um diese Uhrzeit im vollen Automationsmodus, aber heute habe ich das ganze einmal bewusst mit ER LEBT.


Ja, ICH LEBE tatsächlich - auch morgens vor acht Uhr. Es läuft immer gleich ab:

Ich werde kurz vor dem Wecker wach, schalte diesen dann aus, stehe auf und gehe ins Bad. Danach runter in die Küche und die Kaffeemaschine anschalten. Dann sitze ich bei uns am Esstisch, schaue raus in den Garten und schlürfe an meinem Kaffee. Während dieser Zeit kommt dann der Rest der Familie so langsam nach unten. Als letztes in der Regel meine Tochter - die gerade heute morgen, als ich aufgestanden bin, sich das Kissen über den Kopf gezogen hat. Im Gedanken war ich voll und ganz bei ihr, aber man hat sich ja inzwischen im Griff (Gott hätte ich gerne getauscht). So gegen 7.45 Uhr kommt dann die kritischste Zeit am Morgen - alles zusammenpacken, fertig anziehen und ab ins Auto. Wenn das geschafft ist, geht es steil bergauf. Der Weg zur Schule hat wirklich etwas chilliges: Wir hören Musik im Auto und unterhalten uns über alles Mögliche - das geniessen wir alle sehr. Zwanzig Minuten später kommen wir alle Drei entspannt an der Schule an, ich helfe noch unserer Kleinen den Tornister (so nennt man im Ruhrpott den Schulranzen) anzuziehen und dann laufen die Beiden die letzten Meter gemeinsam zur Schule - immer wieder ein schöner Anblick. Ich steige dann wieder ins Auto und nun beginnt meine Zeit.

Die Rückfahrt von der Schule zu mir ins Büro hat wirklich was spirituelles. Gute Musik im Hintergrund, meditiere ich auf der angenehm gefüllten Strecke. Kurzer Stopp beim Brötchenversorger des Vertrauens und dann ab ins Büro, wo der duftende Kaffee sich mit dem Geschmack des Brötchens verbindet - Friede! Normalerweise ist das der erste Moment, an dem ich morgens bewusst wach werde und mich oft frage: “Wie bin ich eigentlich hierher gekommen?” Ich bin sicher der ein oder andere kennt das.


Routine ist schon wirklich eine tolle Einrichtung. Wie eine Maschine arbeitet man die täglichen Dinge ab, ohne mehr Energie als nötig zu verwenden - und der Kopf hat sogar noch reichlich Kapazität, um über andere Dinge nachzudenken. Allerdings lohnt es sich ab und zu, seine ganze Aufmerksamkeit auf die täglichen Routinen zu richten. Erkennt man doch oft einige Dinge, die man vielleicht ändern möchte oder die man tatsächlich noch mehr zu schätzen weiß, als man das in der Routine kann. Bei mir ist das zum Beispiel das Auto fahren. Heute morgen ist mir mal wieder aufgefallen, warum ich so gerne Auto fahre. Und da Autos ja generell sehr hoch im Kurs stehen, glaube ich es geht sehr vielen Menschen so. Man sitzt in seiner vertrauten Umgebung, wird von einer angenehmen Geräuschkulisse berauscht und kann in Erinnerungen und Gedanken schwelgen, während man wie von Geisterhand die Orte wechselt. Und wenn man dann die Tür aufmacht, ist man angekommen….fantastisch! Ich sagte es oben schon: Routine ist wirklich eine tolle Einrichtung. Für mich wäre es undenkbar, sich morgens in einen vollen Bus oder in eine volle Bahn zu quetschen und dort mit Kopfhörer auf den Ohren von A nach B zu kommen. Als wir in Stockholm gelebt haben, habe ich das zwar auch gemacht, aber an den Ortswechsel mit dem Auto kommt das nicht im Entferntesten ran. Ist aber wahrscheinlich reine Gewöhnungssache - für jemanden, der täglich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fährt, hat das wahrscheinlich die gleiche meditative Wirkung. Ist doch unglaublich, welche unterschiedlichen Routinen man sich anerziehen kann. Das Gehirn lässt sich wirklich gut “eichen”.


Da fällt mir ein Experiment ein, über das ich vor einiger Zeit mal gelesen habe. Das Ganze trug den Titel “Sehen wir mit den Augen oder mit dem Gehirn” - ich weiß leider gerade nicht mehr, wo ich das gelesen habe und von wem es war. Natürlich sehen wir mit dem Gehirn, da das Auge eine Unmenge an Informationen liefert, die uns völlig überfordern würde. Das Gehirn sortiert die für uns relevanten Informationen dann entsprechend aus und dass ist dann das, was wir zu sehen glauben. Man hat vor einiger Zeit einmal ein Experiment gemacht, bei dem einige Menschen für mehrere Wochen eine Brille aufsetzen mussten, die auf beiden Gläsern zur Hälfte gelb und zur Hälfte blau gefärbt war. Nach einigen Tagen, haben alle Menschen mit dieser Brille “normal” gesehen und die Farbdifferenzen waren weg. Wenn sie die Brille dann abgesetzt haben, war alles total verfärbt - wie am Anfang mit der Brille. Finde ich wirklich beeindruckend. Vor allem was bedeutet das für unser tägliches sehen? Das Gehirn filtert die Informationen des Auges aufgrund vorhandener Erfahrungen und Interessen und gibt uns das dann als Bild. Kennt bestimmt auch jeder: Man beginnt sich für etwas Neues zu interessieren - bei mir waren es vor einigen Jahren zum Beispiel Wohnmobile - und plötzlich waren die Straßen voll mit den Dingern. Sind mir vorher nie aufgefallen. Da - schon wieder eins! Auf einmal werden Wohnmobile nicht mehr rausgefiltert, sondern hervorgehoben. Das bringt eine wirklich spannende Frage mit sich:


Sehen wir eher vorherige Erfahrungen statt zukünftiger Möglichkeiten?


Ich würde sagen: ja! Ist ja auch logisch, wenn das Gehirn konditioniert ist, was es sehen soll (also dass, was es aus der Vergangenheit schon kennt). Von daher lohnt sich ein wirklich bewusster Blick immer - vielleicht findet man nur kleine Nuancen, die das Bild aber doch um einiges verändern. Aktuell muss ich meinen Blick mal wieder mehr auf neue Dinge trainieren, da die alten Muster mich nicht mehr wirklich befriedigen. Ich bin seit längerem auf der Suche nach einer neuen Aufgabe, einer neuen Idee und mit den alten Denkmustern lande ich leider allzu oft in der Sackgasse. Also zwinge ich mich mal wieder mehr zur Aufmerksamkeit und hoffe, dass mir in naher Zukunft etwas neues ins Auge bzw. ins Gehirn springt. Ich werde berichten.


In diesem Sinne … bleibt gesund und wach!



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