Plus + Plus = verdächtig
- Misar
- 10. Aug.
- 3 Min. Lesezeit

Es gibt so eine stillschweigende Gleichungsformel in vielen Köpfen: Wenn jemand auf einer Seite viele Pluspunkte hat, muss es irgendwo Minus geben. Sonst wäre es ja unfair.
Das fängt bei harmlosen Gedanken an, wie zum Beispiel: „Klar, der ist reich – aber bestimmt einsam.“ Oder: „Sie ist schön – aber wahrscheinlich nicht die hellste Kerze auf der Torte.“ Und wenn es mal ein bisschen wissenschaftlich klingen soll, wird die Sache zur „ausgleichenden Gerechtigkeit“ umgedeutet.
Ich selbst war da lange nicht frei davon. Jahrelang habe ich mein Übergewicht mit meinem vermeintlichen beruflichen Erfolg kompensiert. Je dicker ich wurde, desto erfolgreicher habe ich mich gegeben – auch wenn es nicht immer der Wahrheit entsprochen hat. Ich kann mich noch gut daran erinnern, als ich vor über zwanzig Jahren einmal sehr viel abgenommen und dann wieder zugenommen hatte: Ein guter Freund hatte damals zu mir gesagt: „Hast wieder ein bisschen zugenommen, oder?“ Ich habe sofort gerechtfertigt: „Ja, aber weißt du: Ich habe festgestellt, je dicker ich werde, desto voller ist mein Konto.“ Ich habe mich damals den Satz selber sagen hören und dachte gleich: „Was ist das denn für ein Quatsch?“ So, als müsste ich den Pluspunkt „Erfolg“ sofort mit einem Minus ausbalancieren, damit alles wieder im Lot ist. Rückblickend war das natürlich absoluter Käse – und, Hand aufs Herz, eine bequeme Ausrede für mein nicht ganz so vorbildliches Essverhalten.
Dieses Denken ist weit verbreitet:
Die Schöne ist dumm (nebenbei: dämlich kommt tatsächlich von Dame und herrlich von Herr – was allein schon zeigt, wie schräg manche alten Denkmuster sind).
Der Reiche ist moralisch fragwürdig und geht natürlich immer über Leichen.
Der Erfolgreiche ist ein Egoist und herzlos.
Und wehe, jemand sieht gut aus, ist erfolgreich, gesund und freundlich – dann suchen wir verzweifelt nach dem berühmten Haar in der Suppe. Irgendeins wird sich doch hoffentlich finden lassen.
Warum eigentlich?
Weil es uns entlastet. Es macht die Welt scheinbar gerechter. Und vor allem: Es schützt unser Ego.
Wenn ich mir einrede, dass jemand mit einem Plus auch automatisch ein dickes Minus haben muss, dann muss ich mich selbst nicht fragen, warum ich dieses Plus vielleicht nicht habe – oder ob ich es mir holen könnte. Viel bequemer ist natürlich, sich das Minus des anderen einzureden, als den Blick auf sich selbst zu wenden. Das ist im Grunde nichts anderes als ein innerer Schonwaschgang für unsere Minderwertigkeitsgefühle. Und das Verrückte ist: Es funktioniert nach allen Richtungen.
Der Schöne glaubt, er sei vielleicht nicht intelligent genug. Der Reiche sucht nach einer Schwäche, um nicht als abgehoben zu gelten. Und am Ende rennen wir alle mit künstlichen Minuspunkten rum, die wir uns selbst ankleben, nur um „ausgeglichen“ zu wirken. Und natürlich sind wir dann alles andere als „ausgeglichen“ – kann ich aus meiner persönlichen Geschichte zu einhundert Prozent bestätigen.
Dabei ist das Leben kein Nullsummenspiel. Plus und Plus können einfach Plus Plus sein. Und Minus plus Plus kann auch mal richtig stark werden. Kurzum: Hier muss die Waage nicht ausgeglichen sein (auch wenn „Ausgeglichenheit“ als ein erstrebenswerter Zustand gilt). Ich glaube, hier gilt sogar:
Je mehr Plus, desto ausgeglichener!
Lass uns einfach aufhören, immer heimlich Minuspunkte zu verteilen – bei uns selbst und bei anderen. Lass uns anerkennen, wenn jemand gut aussieht, klug ist und nett – ohne den Drang, das Bild zu zerkratzen. Nehmen wir solche Personen lieber als leuchtende Vorbilder. Ich bin mir sicher, dann könnten wir auch unser eigenes Plus ein bisschen mehr feiern – ganz ohne Minus.
Bleibt gesund und wach!
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