Rolle, Rollen, Rollercoaster
- Misar
- 19. Sept.
- 3 Min. Lesezeit

Vor einigen Wochen, beim Gespräch mit einer guten Freundin, kamen wir auf einige Gedanken, die mich seitdem nicht mehr loslassen: Was wäre eigentlich, wenn jeder Mensch – egal ob Mann oder Frau, egal welcher Job – denselben Betrag verdienen würde? Sagen wir: 10.000 Euro im Monat.
Keine Diskussion mehr über Gehaltsunterschiede. Kein Lohngefälle zwischen Mann und Frau. Kein „Mein Job ist wichtiger als deiner“. Einfach: alle gleich.Klingt verrückt? Vielleicht. Aber spannend finde ich den Gedanken trotzdem.
Beziehung ohne Ausrede oder „Ich bringe das Geld“
Gerade in klassischen Beziehungen war (und ist) Geld oft das große Argument.Viele Männer haben sich über Jahrzehnte hinter dem Satz versteckt: „Ich verdiene halt das Geld.“ Damit war alles andere scheinbar geregelt: Haushalt, Kinder, Care-Arbeit – „dafür ist ja die Frau zuständig“. Klar, nicht in jeder Beziehung, aber die Tendenz war und ist noch da.
Was aber, wenn die Frau automatisch genauso viel bekommt wie der Mann? Dann fällt die Ausrede weg. Dann muss man sich ehrlich anschauen: Wer macht eigentlich was im Alltag? Wer trägt was zur Beziehung bei, wenn Geld nicht mehr als Joker ausgespielt werden kann?Ich glaube, das würde die Rollenbilder massiv verändern. Es würde auch die Fragestellung „Wer bringt wie viel ein?“ insofern verändern, dass es vergleichbarer wird.
Wenn jeder Job gleich bezahlt wird
Der Gedanke geht aber noch weiter. Stell dir vor, jeder Job – ob Fensterputzer, Arzt, Schreiner oder Manager – würde gleich bezahlt. Was würde passieren?Ich vermute, sehr viele Menschen würden plötzlich Berufe ergreifen, die sie wirklich mögen. Nicht: „Wo verdiene ich am meisten?“, sondern: „Worauf habe ich Lust? Was erfüllt mich? Wo liegen meine Talente?“
Pflegekräfte, Erzieherinnen, Lehrer – und vor allem auch die Rolle von Mutter und Vater – wären auf einmal genauso anerkannt wie Banker oder Ingenieure.Und vielleicht würde das ganze System entspannter laufen, weil Menschen nicht mehr arbeiten, um zu überleben oder Status zu sichern, sondern weil sie es wirklich wollen. Und wenn ich Lust habe, nach langer Zeit in einem neuen Bereich zu arbeiten, wäre das auch um einiges leichter, wenn die Gehaltsfrage von vornherein klar wäre. Die Verschiebung wäre gewaltig: Der Wert der eigenen Arbeit würde sich nicht mehr über Gehalt definieren, sondern über das, was man tatsächlich in sein und ins Leben anderer bringt.
Zurück in die Partnerschaft
Wenn Geld kein Machtfaktor mehr ist, würden Beziehungen sehr viel freier werden. Man müsste nicht mehr aus Vernunft zusammenbleiben, weil einer vom Einkommen des anderen abhängig ist. Man könnte bleiben, weil man wirklich will – oder gehen, wenn es nicht mehr passt.
Vielleicht gäbe es dann viel häufiger bewusst gewählte “Lebensabschnitts-Partnerschaften.” Vielleicht auch mehrere wichtige Menschen im Laufe des Lebens, anstatt die eine große Monogamie-Erzählung „Bis dass der Tod euch scheidet“. Aus meiner Sicht ein völlig absurdes Märchen, das uns die Kirchen seit Jahrhunderten auftischen.
Ich persönlich glaube: Das würde uns unabhängiger machen. Autarker. Und damit auch ehrlicher. Denn viele langjährige Beziehungen bestehen heute weniger aus Liebe als aus gegenseitiger Versorgung. Dagegen ist ja auch nichts zu sagen, wenn es für beide in Ordnung ist. Ich kenne allerdings einige Beziehungen, wo der ein oder andere Partner lieber etwas mehr Abstand hätte, es aber aufgrund der finanziellen Abhängigkeiten lieber mit dem Partner aushält. Und aushalten ist irgendwann nicht mehr lebens- und schon gar nicht liebenswert.
Hochzeit oder Hoch-Jahr?
Das Wort „Hochzeit“ fand ich in diesem Zusammenhang übrigens auch spannend. Ursprünglich kommt es von „Hohe Zeit“ – also ein Fest, ein besonderes Ereignis. Aber eigentlich könnte man es auch als „Hoch-Jahr“ verstehen. Nicht „für immer“, sondern: eine besondere Phase, ein Abschnitt, der gefeiert wird.
Ich finde das eine schöne Metapher. Vielleicht müssten wir Beziehungen öfter als „Hochzeiten“ im Plural sehen. Mehrere Hoch-Zeiten im Leben, nicht nur eine. Man könnte natürlich auch sagen “Hoch” kommt von “och jaa” - also eine “och jaa (geht so) Zeit”. ;-)
Natürlich weiß ich, dass das Ganze nur ein Gedankenexperiment ist. Aber manchmal lohnt es sich, genau solche „verrückten“ Szenarien zu denken.Weil sie etwas freilegen: unsere Rollenbilder, unsere Ausreden, unsere Muster.
Und vielleicht können wir uns ja schon jetzt fragen: Was würde ich tun, wenn Geld keine Rolle spielt? Welche Arbeit würde ich wählen? Welche Beziehung führen? Und: Wie würde ich l(i)eben, wenn ich nicht mehr hinter Geld oder Abhängigkeit verschwinden kann?
Ich glaube, allein die ehrliche Antwort darauf könnte viele Menschen weiter bringen.
Bleibt gesund und wach!
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