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Wer nicht in diese Welt zu passen scheint...

  • Misar
  • 23. Aug.
  • 4 Min. Lesezeit
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Gestern Abend war ich bei Freunden eingeladen, wir haben gegrillt, viel gelacht und es war ein wirklich schöner Abend. Zwei Paare, ein kleines Kind, das durchs Haus tollte, und die Großeltern, die anfangs auch noch dabei waren. Ein Stück vom Leben, wie es Millionen Menschen führen: Haus, Kind, Familie, Routinen.

Und während ich das genoss, habe ich mich gefragt: Warum lebe ich das eigentlich nicht, obwohl ich es könnte? Wir haben auch zwei tolle Kinder, ein großes Haus – wir könnten ohne Probleme das „heile Welt-Glück“ darstellen. Und trotzdem fühlt es sich für mich nicht stimmig an. Während ich da so drüber nachdachte, fiel mir ein Spruch ein, den ich vor langer Zeit einmal gelesen habe:


„Wer nicht in diese Welt zu passen scheint, ist nahe dran, sich selbst zu finden.“

(aus „Demian“ von Hermann Hesse)


Ich beobachte gerne Menschen. Und so fiel mir auch gestern auf, wie eingefahren vieles wirkt. Besonders sind mir die feinen Nuancen im Umgang miteinander aufgefallen: Sie kritisierte ihn ein paar Mal – alles liebevoll, nicht böse, eher wie eine kleine Korrektur am Wegesrand. Er spielte seine Rolle, hat aber andere Träume, die er sich nicht traut zu verwirklichen, da er ja jetzt in der Verantwortung für die Familie und für das Haus ist. Alles ganz normal, durchaus glücklich – und doch keimte in mir ein kleiner Samen des Misstrauens.

Dabei tauchte für mich die Frage auf: Was genau suche ich? Kann man das finden, oder stehe ich dem glücklichen Standardleben zu kritisch gegenüber?

Oder – und das ist die unbequeme Frage – ist es gut, dass ich anders ticke? Dass ich mehr hinterfrage, nicht einfach mitspiele?


Blau oder rot?


Da fiel mir die Matrix ein mit dem für mich wichtigsten Satz aus dem ersten Film: „Willst du die rote oder die blaue Pille?“

Die blaue Pille steht für das Weiterschlafen, für die vermeintlich schöne Illusion: alles passt schon, die Welt ist heil. Millionen Menschen wählen diese Pille jeden Tag – und vielleicht ist es auch gar nicht so schlecht. Wer die blaue Pille nimmt, lebt oft ein ruhiges, angepasstes Leben. Weniger Fragen, weniger Zweifel – jedenfalls an der Oberfläche.


Die rote Pille dagegen steht für das Aufwachen. Für den Mut, Dinge zu sehen, wie sie wirklich sind. Das klingt erstmal nach Klarheit und Freiheit – aber ist das wirklich einfacher? Oder macht es das Leben nicht sogar schwerer, wenn man immer mehr hinterfragt, wenn man seine Intuition ernster nimmt, wenn man erkennt: So möchte ich nicht leben oder irgendwas stimmt hier nicht?!


Ich kenne beide Seiten. Und manchmal frage ich mich, ob ich nicht auf dem Holzweg bin. Ob das ständige Aufwachen nicht vielleicht auch verhindert, dass man einfach zufrieden sein kann. Um mein zweitliebstes Zitat aus diesem Film zu nennen: „Ich möchte wieder zurück in die Matrix. Ich möchte mich an nichts mehr erinnern, und genügend Geld wäre gut.“


Wäre das vielleicht einfacher? Glücklicher?


Aktuell sehe ich leider bei zwei Menschen, die ich von Herzen liebe, dass sie immer unglücklicher werden, aber einfach nichts ändern. Die Mundwinkel gehen nach unten, die Energie fehlt. Und trotzdem machen sie weiter. Sie leben ihre Rolle, so wie sie es für sich ausgewählt haben.


War ja die eigene Entscheidung. Aber ist es eine freie?

Oder ist es nur die blaue Pille, das „Ich spiele einfach weiter, halte es aus und ignoriere die kleinen unguten Gefühle am Wegesrand.“


Eine gute Freundin hat mir heute etwas Wichtiges dazu gesagt:

Menschen, die ihre Themen nicht anschauen, leben vielleicht nach außen hin glücklich, aber innen läuft eine Abwärtsspirale. Und das Verrückte ist: Obwohl die Anzeichen dafür schon so offensichtlich sind, ignoriert man den „Wink mit dem Zaunpfahl“ und macht es sich bequem im immer unbequemer werdenden Leben.


Das habe ich auch bei meiner Mutter erlebt.

Kurz bevor es mit ihr so massiv bergab ging, hatte eine gute Freundin ihr eine Psychologin empfohlen. Meine Mutter ging sogar hin und kam ganz begeistert zurück. Sie erzählte mir damals von diesem Erstgespräch und ich dachte nur: „Wow, das sind genau ihre Themen. Jetzt passiert etwas.“


Und es passierte tatsächlich etwas, allerdings anders als erwartet. Als ich einige Monate später fragte, wie es mit der Therapie vorangehen würde, war die leicht erboste Antwort: „Ich habe ja keine Zeit, da regelmäßig hinzugehen.“


Damit hatte sie es im Grunde wieder weggedrückt. Und die Abwärtsspirale drehte sich weiter. Vorerst unsichtbar, aber unaufhaltsam.

Heute weiß ich: Genau da lag der Knackpunkt. Sie hätte die rote Pille nehmen können – aber sie wählte die blaue. Wohin das geführt hat, habe ich leider noch allzu gut in Erinnerung. Ruhe in Frieden!


Aufwachen ist unbequem – aber echt


Und so stehe ich dazwischen. Einerseits sehe ich, wie schwer es ist, die rote Pille zu schlucken. Wer immer wacher wird, muss vieles hinterfragen. Beziehungen, Arbeit, Lebensstil. Es ist kein leichter Weg.

Aber andererseits glaube ich: Es ist der einzig echte.

Denn die blaue Pille mag kurzfristig leichter erscheinen. Aber sie hält dich in einer Rolle gefangen, die irgendwann nicht mehr zu dir passt. Du funktionierst, ja. Aber du lebst nicht wirklich.

Und genau da greift wieder der Satz von Hermann Hesse, den ich aber ergänzen würde: „Wer nicht in seine eigene Welt zu passen scheint, ist nahe dran, sich selbst zu finden.“


Und nun?


Vielleicht ist es gar nicht so schlimm, nicht in die Norm zu passen. Vielleicht ist es sogar ein Zeichen, dass du auf dem richtigen Weg bist – deinem Weg.

Und vielleicht müssen wir akzeptieren, dass echte Freiheit auch echte Anstrengung bedeutet.

Aber lieber ein unbequemes, echtes Leben mit der roten Pille – als ein bequemes, falsches Leben mit der blauen.


Denn am Ende gilt: Wer sich selbst findet, passt immer – vielleicht nicht in diese Welt, aber ganz sicher in seine eigene.


Bleibt gesund und wach!




 
 
 

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