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Nein


Ich befinde mich gerade im Lernprozess - na ja, wahrscheinlich befindet man sich sein Leben lang im Lernprozess, aber gerade fällt es mir mal wieder auf. Ich vermute es liegt einfach daran, dass man beim älter werden sich vieler Dinge sicherer wird - ist jedenfalls bei mir so. Dementsprechend kommuniziere ich klarer, was ich für richtig halte bzw. was ich möchte und was ich nicht möchte. Dabei ist mir in den letzten Tagen aufgefallen, dass ich in meinem bisherigen Leben ein kurzes Wort zwar kannte, aber viel zu selten benutzt habe. Das Wort “nein”.


Ich war eher ein “Ja sager”


In meinen Ohren klingt das wie ein mittelschwerer Vorwurf, dabei ist “ja” sagen nun wirklich kein Zeichen von Schwäche - vorausgesetzt, man meint es auch wirklich so. Wie oft habe ich zu Dingen “ja” gesagt, auch wenn ich mir nicht wirklich sicher war oder vielleicht sogar lieber “nein” gesagt hätte. Warum habe ich mich damit so schwer getan? Ich bin ein Freund von Harmonie und kein Typ, der wegen jeder Kleinigkeit einen Streit vom Zaun bricht. Im Gegenteil: Streit ist für mich ein sehr anstrengender Zustand, den ich am Liebsten vermeide. Das ist aber anscheinend eine Typ-Frage, kenne ich doch einige Leute, die gerne streiten und es teilweise kaum erwarten können, wegen jedem Käse einen Streit vom Zaun zu brechen. Für ich völlig unverständlich, aber akzeptabel. Wenn solche Leute mit mir zusammen kommen, haben sie immer den entscheidenden Vorteil, dass ich Streit so gut es geht vermeide und dementsprechend in vielen Punkten einlenke, auch wenn ich das für mich nicht umbedingt möchte. So war es jedenfalls rückblickend sehr oft gewesen. Ich habe also zu wenig “nein” gesagt um unangenehme Situationen zu vermeiden. Das funktioniert für den Moment auch super, nur im Nachhinein führt dieses erste “ja” sagen zu meist viel mehr Unwohlsein im Nachhinein. Wie oft habe ich schon Dinge getan, die sich teilweise lange hingezogen haben, obwohl ich sie gar nicht machen wollte und bin dann wochenlang mit einem schlechten Gefühl durch die Gegend gelaufen. War es dann dann wert?


Nein!


Dieses Wort hat wirklich viel Kraft, obwohl es so fantastisch kurz ist. Die letzten Monate habe ich mehr und mehr gelernt, dieses kleine Wörtchen öfter zu benutzen. War es früher für mich noch unangenehm, entwickelt es sich inzwischen zu einem guten Druckausgleich. Gefühlt ist das ein bisschen wie mit einem geladenen Revolver in ein Gespräch zu gehen (nein, ich habe keine Waffen). Man weiß genau, was man will und bis wohin man bereit ist, Kompromisse einzugehen und wenn diese Grenze dann überschritten wird: “PENG!” und mein innerer Druck ist sofort weg. Ein tolles Gefühl! Viele Dinge, die mich früher über Tage, Wochen ja vielleicht sogar Monate beschäftigt hätten, sind mit einem kleinen Wort abgehandelt. Schade, dass ich das erst so spät im Leben entdeckt habe. Natürlich ist “ja” sagen mindestens genau so gut - vielleicht sogar noch besser, aber nur wenn man mit dem “ja” etwas bestätigt, was einem wirklich passt.


Sagen, was man will


Wieso haben viele Menschen ein so großes Problem damit? Vielleicht fängt das ganze schon früh an - in Kindheitstagen. Wie oft traut man sich als Kind schon “nein” zu sagen und wie oft wird es dann von Erwachsenen auch akzeptiert? Da man als Kind schnell den Eindruck vermittelt bekommt, dass man nur liebenswert ist, wenn man so ist, wie die Erwachsenen es sich wünschen, wird man glaube ich schnell zum “ja sager”. Kleine Kinder können nicht ohne die Liebe und die Anerkennung ihrer Eltern leben - vielleicht überleben, aber nicht leben. Wie wir aus der Psychologie wissen, ist die frühe Kindheit prägend für unser gesamtes Leben - das könnte einiges erklären. Ich bin ein Einzelkind und da fällt es - wie ich finde - noch schwerer, sich gegen zwei Erwachsene durchzusetzen. Ich glaube Geschwisterkinder haben es da deutlich besser. Kann ich bei meinen Beiden auch sehr gut beobachten: Der ältere ist deutlich introvertierter und genügsamer als seine kleine Schwester. Die ist deutlich mehr fordernd und bringt oft lautstark zum Ausdruck, was ihr nicht passt - wer da auf ein schnelles Ende durch Autorität hofft, hat sich gründlich getäuscht. Aber ich muss sagen, ich finde das wirklich gut. Ok - vielleicht sind Mädchen da auch anders als Jungen, aber im Bekanntenkreis haben wir zum Beispiel zwei Mädchen und auch da sitzt die Jüngere emotional deutlich fester im Sattel als die Erstgeborene. Könnte also durchaus etwas dran sein. Ich glaube es ist ein entscheidender Vorteil, wenn man in die Familie kommt und schon ein Mitstreiter im ähnlichen Alter da ist - quasi als Verbündeter gegenüber den Eltern. Bei uns finde ich spannend zu beobachten, dass der Ältere das mitbekommt und auch etwas aufmüpfiger wird - richtig so. Jeder hat seine Grenzen und muss diese auch kommunizieren - auch Kinder dürfen “nein” sagen. Und je nachdem um was es geht, kann man sich als Erwachsener auch von einem “nein” überzeugen lassen. Ich mag das wirklich - vielleicht fällt es mir deswegen auch immer leichter gegenüber Erwachsenen “nein” zu sagen. Ein wirklich sinnvolles Wort.


Und so schreitet der Lernprozess voran - ich hoffe nur, ich sage jetzt nicht öfter “nein”, nur weil es so eine großartige Wirkung hat. Wie bei allen Dingen ist auch hier das Abwägen der Situationen aller beteiligten im Vorfeld umbedingt von Nöten. Das konnte ich Gott sei Dank schon immer ziemlich gut, nur leider habe ich oft zu wenig auf meine Situation geachtet - das ändert sich aber gerade.


Bleibt gesund und wach!



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