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Nähe


Der Titel meines heutigen Artikels könnte fälschlicherweise als Imperativ aufgefasst werden. Ich möchte aber niemanden nötigen, sich ohne Vorkenntnisse an die Nähmaschine zu setzen. Dazu könnte ich auch nichts beitragen, da ich vom Nähen überhaupt keine Ahnung habe. Nein, es soll um die Nähe gehen - das zusammensein mit Familie, Freunden, Fremden und auch mit sich selbst.


Wer mich kennt oder mir hin und wieder folgt weiß, dass ich sehr gerne alleine bin - alleine, aber nicht einsam. Also dürste ich auch nach Nähe, allerdings in Maßen. Zu viele Menschen sind für mich nur schwer erträglich - am Liebsten ein paar ausgesuchte Menschen, in einem vertrauten Raum. Die Mischung aus 60 Prozent alleine und 40 Prozent unter lieben Menschen zu sein, erscheint mir genau richtig. In der letzten Zeit habe ich mit einigen Leuten über dieses Thema gesprochen und mir ist aufgefallen, dass mein „Wohlfühlfaktor 60:40“ für viele schon mit großem Unbehagen belegt ist. Von „ich kann nicht alleine sein“, bis zu „ich hasse Menschen“ ist mir dabei alles untergekommen. Betrachten wir diese beiden Extreme einmal:


Ich kann nicht alleine sein


Diese Aussage ist mir - wenn auch manchmal anders formuliert - sehr oft untergekommen. Bei näherer Beleuchtung der jeweiligen Situation, sind wir im Gespräch dann schnell auf den gemeinsamen Nenner der „Ablenkung“ gekommen. Die dauernde Ablenkung von sich selbst scheint das Ziel, aber warum? Was ist so falsch an mir, dass ich nicht mit mir alleine sein möchte? Dieses als direkte Frage gestellt, brachte die Personen meist in einen weiteren Ablenkungsmodus: Die Ablenkung vom Thema: „Ich könnte gut mir mir alleine sein, ist mir aber zu langweilig.“ oder „Alleine sein ist doch nicht normal, der Mensch ist ein Rudeltier.“ oder „Alleine sein kann ich, wenn ich tot bin.“.

Warum ertragen viele Menschen sich selbst nicht, haben teilweise richtige Angst davor?

Wenn kein Fernseher läuft, kein Handy piepst, keine Musik zu hören ist und man auch nichts zu lesen zur Hand hat, dann nennt sich das Stille. Verweilt man länger in der Stille, fängt der Kopf an zu rattern und wirft einem immer mehr Gedankenbruchstücke vor die Augen: Vergangenes und Zukunftsspinnereien - Hauptsache weg aus dem Augenblick. Der etwas geübte „Alleinseier“ kann sich dann selbst beim Denken beobachten und kommt nicht selten ins Lachen, was da alles so hervorgeholt wird (ist jedenfalls bei mir so). Bei Neulingen kommt nach einiger Zeit dann eine spannende Frage auf: „Ich habe gerade die Gedanken beobachtet - ich bin also der Beobachter. Wer aber denkt dann bitte?“ und darauf hin die viel entscheidendere Frage: „Welcher bin ich?“ bzw. „Wer bin ich?“. Ich bin keine Ehefrau, kein Ehemann, kein Vater, keine Mutter, kein(e) erfolgreiche(r) Geschäftsmann/Geschäftsfrau und was wir sonst noch alles für Rollen im Alltag spielen. Übrig bleibt einzig und alleine ich, nur ICH. Für viele am Anfang eine völlig neue Erfahrung. Wenn das Gedankenkino irgendwann verstummt, da man es nicht mehr (für) wahr nimmt, folgen die Emotionen. Tief in uns abgespeicherte Gefühle, die sehr heftig sein können - sie zeigen sich, wenn die Betäubung - die Droge des Ablenkens - weggelassen wird. Und davor haben sehr viele Menschen Angst - die Begegnung mit den Schattenseiten ihrer Selbst. Solche Prozesse können sehr weh tun, sind aber aus meiner Sicht unabdingbar, wenn man ein wirklich glückliches und zufriedenes Leben führen möchte. Oft ist sowas nicht ohne Hilfe zu erfahren und durchzustehen und viele machen auch beim ersten Aufkommen heftiger Emotionen direkt einen Rückzieher - habe ich früher auch gemacht. Man kann sie zwar wieder zuschütten, aber sie sind da und beeinflussen maßgeblich unser Leben. Wer schon einmal durch solch einen Prozess gegangen ist, weiß wie unerträglich sich das am Anfang anfühlt aber auch wie unglaublich besser vieles wird, wenn man durchgegangen ist. Um es mit den Worten von C.G. Jung zu sagen:


„Ohne Schmerz gibt es keine Bewusstwerdung. Menschen tun alles, egal wie absurd, um ihrer eigenen Seele nicht zu begegnen. Man wird nicht erleuchtet, in dem man sich Figuren aus Licht vorstellt, sondern indem man die Dunkelheit bewusst macht.“


Warum also ertragen sich viele Menschen nicht und haben teilweise richtige Angst davor?

Da sie tiefe Verletzungen in sich tragen, die sie nicht mehr sehen und fühlen möchten. Also flüchten sie sich in die Ablenkung. Ich möchte das nicht verurteilen und sicherlich leben viele auch halbwegs gut damit. Aber halbwegs gut Leben wäre für mich keine Option.

Kommen wir zum krassen Gegenteil, den


Menschenhasser


Vor gar nicht langer Zeit hatte ich ein Gespräch mit einem Geschäftspartner, der sehr viel mit Menschen zu tun hat. Ich habe ihm erzählt, dass ich oft Zeit für mich brauche und dass mich die andauernde Nähe zu Menschen - vor allem zu Menschen, die ich mir nicht aussuchen kann (also z.B. Kunden, Arbeitskollegen etc.) - anstrengen würde. Darauf hin erwiderte er, dass er mich sehr gut verstehe und dass er eigentlich ein „Menschenhasser“ sei. Diese Worte aus dem Mund eines adretten, souveränen, jungen und erfolgreichen Geschäftsmannes haben mir glatt die Sprache verschlagen. Im weiteren Gespräch habe ich nichts weiter dazu gesagt, allerdings im Nachgang viel darüber nachgedacht. Wie kann man Menschen hassen? Man ist ja selbst einer?

Erst kam ich auf den Gedanken, dass andere Menschen oft einen Teil von uns spiegeln, den wir nicht annehmen möchten. Darauf wird dann gerne überreagiert und der andere versteht meist gar nicht, was auf einmal los ist. Dann kam ich auf den Gedanken, dass es vielleicht jemand ist, der gerne alleine mit sich ist, aber einfach überhaupt keinen Raum dafür hat. Im nahen Bekanntenkreis habe ich auch solche Fälle - in diesem Falle beides Frauen. Sie sind andauernd umgeben von Kindern, Partner, Freunde, Kollegen und haben so gut wie keinen ZeitRAUM für sich. Von ihnen habe ich aber nie gehört, dass Sie die Menschen hassen - sondern lediglich, dass sie andauernd von anderen vereinnahmt werden und gerne mal etwas mehr Zeit für sich hätten.

Was also war wohl der Antrieb hinter der Aussage ein „Menschenhasser“ zu sein? Ich glaube es ist eine Mischung aus nicht gewollten Spiegeln und des Ignorieren des eigenen Ichs - also nicht mit sich allein (All Eins) sein zu können. Beides unterschiedliche Aussagen für das gleiche Problem.


Du kannst Dir nicht selbst entkommen - Du kannst alle betrügen, nur nicht Dich selbst. Spätestens wenn Dein Leben zu Ende geht, kommst Du bei Dir an. Kümmere Dich um Dich selbst, nimm Dich und Deine Bedürfnisse ernst und höre mehr auf Dein Gefühl als auf Deinen Verstand. Stelle Dich Deinen dunklen Schatten und Du wirst die Sonne sehen. Achte auf eine gute Balance und frage Dich ab und zu: „Ersticke ich an zu viel Nähe oder verdurste ich an Einsamkeit?“ (Nadine W.). Achte auf DICH - nur wer sich selbst wirklich liebt, kann auch bedingungslos lieben und das tägliche Glück voll und Ganz annehmen.


Bleibt gesund und wach!



P.S.: Wie im Podcast angekündigt hier noch der Text von Wonderwall:


Today is gonna be the day that they're gonna throw it back to you

By now, you should've somehow realised what you gotta do

I don't believe that anybody feels the way I do about you now

Backbeat, the word is on the street that the fire in your heart is out

I'm sure you've heard it all before, but you never really had a doubt

I don't believe that anybody feels the way I do about you now


And all the roads we have to walk are winding

And all the lights that lead us there are blinding

There are many things that I would like to say to you, but I don't know how

Because maybe

You're gonna be the one that saves me

And after all

You're my wonderwall


Today was gonna be the day, but they'll never throw it back to you

By now, you should've somehow realised what you're not to do

I don't believe that anybody feels the way I do about you now


And all the roads that lead you there were winding

And all the lights that light the way are blinding

And there are many things that I would like to say to you, but I don't know how

Because said maybe

You're gonna be the one that saves me

And after all

You're my wonderwall

I said maybe

I said maybe

Maybe

You're gonna be the one that saves me

You're gonna be the one that saves me


Text: Noel Gallagher


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