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Abriss der Vergangenheit

In den letzten Tagen war ich mal wieder unterwegs und habe viele liebe Menschen besucht. Am Dienstag hatte ich noch etwas Zeit zwischen zwei vereinbarten Treffen und nach einem kurzen Rundgang um das ehemalige Haus meiner Mutter, entschloss ich spontan in den Ort zu fahren, in dem ich meine Kindheit verbracht habe.


Ich war dort schon das ein oder andere mal, aber dieses mal war es etwas besonderes. Obwohl ich den Ort mit 9 Jahren verlassen musste, kenne ich mich dort immer noch gut aus und fahre sogar ohne Navi (dass will bei mir etwas heißen). Ich hatte mir vorgenommen das Grab meiner Oma zu besuchen. Der Friedhof liegt in der gleichen Straße wie meine ehemalige Grundschule, die ich von der ersten bis zur vierten Klasse besucht habe. Als ich an der Schule vorbeifuhr, erwartete mich nicht der Anblick eines alten Schulgebäudes aus den 70ern, sondern ein durch Bauzäune abgesperrtes Gebiet: Meine ehemalige Grundschule befindet sich im Abriss.



Natürlich musste ich mir das etwas genauer ansehen und während ich da so um die Bauruine lief, machte das irgendwas mit mir. Viele Erinnerungen aus dieser Zeit tauchten auf: Meine erste Klassenlehrerin Frau Haas, die Mitschüler, der Schulhof, die Erlebnisse einer glücklichen Grundschulzeit. Man konnte in die Sporthalle reinschauen und ich hatte sofort den Geruch von damals in der Nase und hörte die hallenden Stimmen der vielen Kinder und der Lehrer. Beim Gang um das Gebäude kam ich zu dem Weg, den ich jeden Morgen ins Schulgebäude gegangen bin und sah mich dort wieder langlaufen. Ein Stück weiter war der Parkplatz - der jetzt mit einem “Parken Verboten” Schild versehen ist. Da wurden die Erinnerungen dann deutlich melancholischer: Von unserem Klassenzimmer aus konnte man direkt auf den Parkplatz sehen und als meine Eltern sich trennten, beobachtete ich an den Tagen, an denen mein Vater mich abholte, während des Unterricht sehnsüchtig den Parkplatz. Dafür wurde ich nicht nur einmal ermahnt - einmal sprang ich kurz vor Schulschluss spontan vom Platz auf und ließ einen Freudenschrei los, als das Auto meines Vaters vorfuhr. All diese Erinnerungen und Gefühle kamen wieder in mir hoch.


Und diese Erinnerungen werden jetzt gerade abgerissen … bald ist nichts mehr davon da. Wer weiß, was dann dort entsteht?! Dort, wo ich meine ersten vier Schuljahre verbracht habe, mit meinen Freunden gespielt und sehnsüchtig auf meinen Vater gewartet habe, der zumindest in dieser Zeit mich noch regelmäßig abgeholt hat.


Danach ging es dann zurück zum Friedhof. Auf dem Weg dorthin stand auf einem Parkplatz ein roter Camaro - genau das Auto, was mein Vater sich damals nach der Trennung gekauft hatte - nur in rot, seiner war weiß…genau heute und auf meinem Weg, an diesem Ort - verrückt.



Um das Grab meiner Oma scheint sich weiterhin jemand zu kümmern - ich vermute mal mein Onkel. Und als ich da so stand dachte ich mir, jetzt fahre ich noch zum Grab meines Opas. Mein Opa ist im Nachbarort begraben, da meine Großeltern dort zuletzt gemeinsam gelebt haben. Da musste ich dann doch das Navi bemühen und bin auf dem Weg noch einmal durch unsere alte Wohnstraße gefahren. Mir fielen sofort die Namen meiner ganzen Freunde von damals ein und wo sie überall in den umliegenden Straßen gewohnt haben. Leider musste ich sie damals alle von heute auf morgen zurücklassen, als meine Mutter mit mir weggezogen ist. Was wohl aus ihnen allen geworden ist und ob sie sich noch an mich erinnern?


Nach ein paar Minuten kam ich am Grab meines Großvaters an … und auch dort sah man - wie beim Abriss der Grundschule - die Vergänglichkeit. Das alte Holzkreuz war schon deutlich gealtert und das Gras stand über einen Meter hoch - man konnte das Kreuz gerade noch sehen. Meine Oma war die einzige, die dieses Grab noch pflegte und seit ihrem Tod scheint sich niemand mehr darum gekümmert zu haben. Unten im Gras neben dem Kreuz entdeckte ich noch einen kleinen, weißen Engel den meine Oma damals dort hingestellt hat. Im hohen Gras war er kaum noch zu sehen. So ist das, wenn die Vergangenheit verblasst.



Dann wurde es aber Zeit, zu meinem Treffen am Abend mit meiner längsten Freundin zu fahren. Wir haben uns für viele Jahre aus den Augen verloren, aber seit unserem ersten Treffen vor einiger Zeit ist es so, als hätte es keine jahrelange Auszeit gegeben. Wir hatten einen schönen Abend und zu späterer Stunde wurde auch unser Nachbartisch besetzt. Ein Mann und zwei Frauen kamen an den Tisch und ich schaute kurz aus dem Augenwinkel, wer dort Platz nimmt. In diesem kurzen Augenblick kreuzten sich die Blicke von dem Mann und mir und wir beide blieben wie in Schockstarre im Blick hängen. Es war einer meiner ersten, wirklich engen Freunde aus der Zeit nach dem Umzug in die neue Stadt: Armin!

Wir haben uns in den Arm genommen und das Gespräch sprudelte - allerdings nur kurz, da wir ja beide in Begleitung dort waren. Wir haben Nummern ausgetauscht und bei meinem nächsten Besuch der alten Heimat, werden wir uns treffen. Ist doch echt unglaublich, dass er genau an diesem Abend um diese Uhrzeit am Tisch neben uns sitzt. Das sind solche Momente, an denen ich nicht an Zufall glauben kann.


Nach einem wunderschönen Abend bin ich erfüllt in mein kleines Ferienhaus gefahren und habe noch einmal die Erlebnisse Revue passieren lassen….was für ein Tag.


Bleibt gesund und wach!


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