“Oh Mord und Entsetzen und Trauer und Totschlag, Yippidey, Yippidey…” - wer das noch kennt, ist mit Sicherheit in meinem Alter. Ist von Otto (Waalkes), der damals meinte, dass man mit einem Banjo keinen traurigen Lieder singen kann. Daraufhin sang er die obigen Zeilen.
Mal im Ernst - Angst und Tod sind natürlich schon schwerwiegende Worte. Ich war die letzten Tage viel unterwegs und hatte wieder einige gute Gespräche mit Familie, Freunden und Bekannten. Wie mir im Nachhinein aufgefallen ist, ging es unterschwellig oft um Angst. Was ist eigentlich Angst? Angst war zumindest in früheren Zeiten überlebenswichtig und ich glaube, es gab auch nur die - wie ich sie nenne -
Reale Angst
Reale Angst ist ein Schutzreflex, der uns vor Gefahr schützen soll und dementsprechend sehr sinnvoll. Wenn man zum Beispiel im Wald einen freilaufenden Bär am Horizont erkennt, bringt einen die Angst sicherlich dazu, sich schnell aus dem Staub zu machen oder sich zu verstecken. Oder wenn man an einem Abgrund steht: Das mulmige Gefühl, was einen sofort zwei Schritte zurücktreten lässt. Das ist reale Angst, die uns warnt einen schwerwiegenden Fehler zu begehen. Wobei sich das “schwer wiegen” meistens auf eine Lebensgefahr bezieht. Ohne dieses Gefühl, wäre der Mensch bestimmt nicht bis zum heutigen Tag gekommen - von daher ist “reale Angst” definitiv ÜberLEBENSWICHTIG. Ganz anders ist dass mit der Angst, die ich wie folgt nenne:
Gemachte Angst
Der Verstand des Menschen hat sich immer weiter entwickelt, was unsere Spezies zu Hochleistungen angetrieben hat. Das ganze hat aber auch - wie ich finde - eine Kehrseite. Wir leben mehr und mehr in der Vorstellung und im Gedanken als im Realen. Unser Verstand ist pausenlos damit beschäftigt, aktuelle Situationen anhand gespeicherter Erfahrungen zu interpretieren und die Zukunft in alle möglichen Richtungen “vorzuspinnen”. Da dies andauernd passiert und wir meistens gar keine bewusste Kontrolle darüber haben, halten wir uns immer weniger mit dem realen Leben und den wirklichen Tatsachen auf. Ich weiß nicht, ob es mit dem Prinzip der Urangst zu tun hat - aber sehr oft spinnt man sich Ereignisse negativ aus und macht sich damit Angst. Diese Angst - die ja nicht real ist - hat aber die gleichen Auswirkungen auf uns, als wäre wirklich akute Gefahr im Spiel. Unser Körper kommt in den Alarmmodus, verschiedene Hormone werden ausgeschüttet, das Herz schlägt schneller, Muskeln verspannen sich usw. Diese Anzeichen nehmen wir dann wieder war und denken: “Oh, irgendwas stimmt nicht…” Und das Gehirn bekommt weiter Angst und verstärkt die Symptome - ein Kreislauf, aus dem man sich bewusst rausholen muss.
Wie ich bei meinen Gesprächen in den letzten Tagen festgestellt habe, leben viele Menschen dauernd in so einer “Angstschleife”. Beim Gespräch mit einer engen Verwandten, die so langsam auf Demenz zusteuert, ist die “Angst vor dem, was da noch kommt” so groß, dass sie den jetzigen Moment nicht mehr genießen kann. Wie das Kaninchen vor der Schlange, sitzt sie in Schockstarre und wartet quasi auf das Unvermeidliche. Jegliche Versuche meinerseits, Sie aus diesem Kreis herauszuholen, sind bis jetzt gescheitert. Ich kenne diese Person schon sehr lange und sie hat in Ihrem Leben auch schon wirklich viel schlechtes erlebt und seit ich sie kenne, war das Glas eher halb leer als halb voll. Wenn man diese Einstellung und dieses Gefühl für sehr lange Zeit pflegt, verfestigt sich es - so glaube ich zumindest - mit zunehmendem Alter immer mehr und man kommt nicht mehr aus dieser Spirale raus. Das hat zur Folge, dass das Leben immer schlechter wird und die Angst immer größer.
Eine andere Bekannte, mit der ich gestern sprach, hat mir erzählt, dass sie zu Anfang viel Angst vor dem Corona-Virus gehabt hat. Da gab es einige in meinem Freundeskreis und ich war sehr verwundert. Ich hatte da wirklich keine Angst vor - ein paar Gedanken dazu habe ich mir natürlich gemacht, aber richtig Angst davor hatte und habe ich nicht. Ich stehe da eher auf dem Standpunkt: Wenn es mich erwischt, dann muss ich damit klarkommen.
Etwas vorsichtiger sein…ja, aber Angst…nein.
Das letzte Hemd ist bunt
Das ist ein Buch von Fritz Roth, welches ich vor mehreren Jahren einmal gelesen hatte. Es handelt vom Tod und wie damit in verschiedenen Kulturen umgegangen wird. In unserer Kultur hat der Tod eigentlich keinen Platz, sondern wird eher als Feind gesehen, den es zu bekämpfen gilt. Doch dieser Kampf ist aussichtslos - der Tod gewinnt am Ende immer. Also braucht man davor auch keine Angst zu haben - er wird kommen. Mir persönlich macht auch der Tod von engen Familienmitgliedern und Freunden mehr Angst, als mein eigener. Aber auch das wird kommen und ich werde damit umgehen lernen. In unserer Gesellschaft ist der Tod so weit weg - gestorben wird am Besten im Krankenhaus oder im Hospiz, nur selten zu Hause. Und auch den Toten am Besten direkt zum Bestatter und dann alle in schwarz bei trauriger Musik Abschied nehmen. Das ist für mich gefühlt der Tod in unserer Gesellschaft - kein wirklich schönes Bild. Es gibt Kulturen, da wird der Tod gefeiert - zum Beispiel als das Ende des Leidens und der Beginn eines neues Lebens. Ich persönlich finde die Vorstellung schön, wenn die Leute mich nach meinem Ableben feiern und in guter Erinnerung behalten. Das Bild von meinen weinenden Freunden und Familienmitgliedern in schwarz bei trauriger Musik finde ich gruselig. Vielleicht kann ich ja von oben zuschauen? ;-)
Der soziale Tod
Im weiteren Gespräch und auf der Heimfahrt alleine im Auto kamen mir noch mehr Gedanken zu diesem Thema. Ganz ehrlich: Wer braucht denn in unserer Gesellschaft wirklich “Überlebensangst” zu haben? Die Möglichkeit, dass mich nachts ein Bär überfällt, ist doch eher unwahrscheinlich. Und auch dass eine Krankheit mich so ohne weiteres dahinrafft - auch eher unwahrscheinlich bei unseren Versorgungsmöglichkeiten. Ich glaube, es hat sich über Generationen eine weitere, verstandesgemachte Todesangst eingeschlichen - der soziale Tod. Wie groß ist heute die Angst vor dem Verlust seines Ansehens, seines Jobs, seines Geldes etc. Bei ganz vielen Menschen, die ich kenne, sehr groß. Ich glaube, dass diese Angst inzwischen ähnliche Dimensionen angenommen hat, wie die reale Todesangst. Anstatt froh zu sein, dass wir uns keine große Angst mehr um das “reale Überleben” machen müssen, machen wir uns jetzt mehr und mehr Angst vor genau diesen Statussymbolen. Hat also nicht viel gebracht. Wie ich oben schon erwähnt habe, ist unser Verstand andauernd bei der Arbeit und spinnt sich alle möglichen Szenarien zurecht. Und so leben wir andauernd mit einem leichten Unwohlsein in unserem Kopf und in unserem Körper. Ich glaube man kann süchtig danach werden und braucht dass dann irgendwann: die Melancholie, den Verlust, den Kampf, die Enttäuschung etc. Kann ich bei vielen Menschen beobachten - ich selbst war ganz lange so drauf. Hat sich bei mir erst mit Mitte 30 geändert. Und dieses Unwohlsein wird andauernd gefüttert mit schlechten Nachrichten, Mord und Totschlag in Filmen, Geschichten über Lug und Trug und vielem mehr. Habt ihr euch schonmal gefragt, warum wir eigentlich schlechte Nachrichten den Guten immer bevorzugen und warum wir lieber den Krimi schauen, als den Liebesfilm oder die Komödie? Ich glaube es liegt genau daran: Irgendwann ist man soweit, dass man das schlechte Gefühl, dass andauernd im Flucht und Kampfmodus zu sein, dass Adrenalin und was auch immer braucht. Und dann holt man sich das andauernd. Und je älter man wird, desto schwerer wird es, da raus zu kommen. Und irgendwann ist das Glas halb leer, die Welt wird immer schlechter, es gibt immer mehr böse Menschen usw. Und was man sehen möchte, dass sieht man dann ja auch.
Raus aus diesem Modus
Ich versuche seit geraumer Zeit, mich bewusst diesen Dingen zu entziehen und mich mehr und mehr auf positive Dinge zu konzentrieren. Auch ab und zu mal versuchen “nichts zu denken”, ist eine sehr gute Übung. Wer das schon probiert hat, weiß wie schwer das ist. Wenn man sich schlecht fühlt, sich mal die Zeit nehmen und genau zu hinterfragen: “Was genau ist jetzt mein Problem?”. Ist wirklich was schlecht, oder habe ich einfach nur so ein Gefühl. Je mehr ich das mache, desto öfter fällt mir auf, wie sehr ich doch in dieser Spirale schon drin bin bzw. war. Ich glaube, ich habe da seit einigen Jahren doch einen ganz guten Weg eingeschlagen. Ich möchte positiv in die Zukunft blicken und mir dass hoffentlich auch bis zum Schluss bewahren. Denn der Vorhang fällt irgendwann, soviel ist sicher. Also keine Angst, rein ins Leben und ruhig etwas mutig sein. Lieber Schmetterlinge im Bauch, als ein halb leeres Glas in der Hand.
Bleibt gesund und wach!
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