Vor einigen Wochen laß ich das Buch „Angstgetrieben von Jean Pierre Kraemer“. Es ist eine Biografie des bekannten Autotuners, Youtubers und Firmengründers von „JP Performance“ aus Dortmund. Das Buch ist aktuell nicht mehr erhältlich - lediglich als Hörbuch kann man es noch auf seiner Website unter www.jp-superstore.de bekommen. Als gelegentlicher JP Performance Zuschauer, hatte ich das Buch damals vorbestellt - interessierte mich das Buch doch tatsächlich mehr, als die Inhalte von JP Performance. Ich schaue den Kanal ab und zu gerne, da die Videos wirklich sehr unterhaltsam und sehr gut produziert sind. Im Inhalt geht es zu 90% um Tuning von Verbrennerfahrzeugen, was jetzt nicht mehr mein Thema ist. Tuning war es eigentlich noch nie, ich stand früher wenn überhaupt auf die „von der Stange getunten“ Fahrzeuge, die man bei den jeweiligen Herstellern direkt erwerben konnte (Mercedes AMG, BMW M etc.). Seit vielen Jahren ist das ganze Thema Auto bei mir allerdings komplett in den Hintergrund gerückt und ein Fahrzeug ist - wie der Name schon sagt - lediglich Zeug zum fahren. Natürlich mag ich es gerne komfortabel und bequem, aber schnell und „schaut was ich mir leisten kann“ sind nicht mehr mein Thema. Seitdem ich das elektrische Fahren für mich entdeckt habe, ist der Verbrenner quasi auch außen vor - nicht dass ich nicht nochmal einen fahren würde, aber wenn ich die Wahl habe, ziehe ich einen elektrischen Antrieb eindeutig vor. Also dient der Kanal von Jean Pierre mir lediglich zur seichten Unterhaltung - ihn selbst als Person finde ich allerdings spannend und deswegen bestellte ich mir auch seine Biografie.
Auf das Buch möchte ich gar nicht weiter eingehen, nur soviel: Sein Vater war nicht da, seine Mutter kam mit ihrem eigenen Leben nicht zurecht und der kleine Jean Pierre musste quasi sein ganzes Leben selber zusehen, wie er klar kommt. Wenn einem Kind jegliche schützende Nestwärme fehlt und es keinen Halt bei den eigenen Eltern hat, gibt es aus meiner Sicht nur zwei Möglichkeiten: Extremer Absturz oder extremer Erfolg - auch bei ihm stand es kurz vor ersterem, bevor dann die Erfolgsstory begann. Angst lässt einem nur die Wahl zwischen Flucht und Kampf, wobei in seiner Situation sicherlich beides nötig war: Flucht von zu Hause und Kampf durchs Leben - eben angstgetrieben.
Meine Kindheit lief bei weitem nicht so extrem ab, aber einige Parallelen konnte ich schon finden und auch bei einigen erfolgreichen Leuten in meinem Umfeld und in gelesenen Biografien erfolgreicher Menschen, waren viele Gemeinsamkeiten ersichtlich. Die Angst kann ein wirklich großer Antrieb sein - war sie auch bei mir. Aus meiner Erfahrung heraus, sind viele richtig erfolgreiche Menschen aus zwei Gründen dort angekommen:
Entweder sie kommen aus einer guten Familie, die sie beschützt, unterstützt und zum richtigen Zeitpunkt mit der Gewissheit loslässt, das die Familie immer ein sicherer Hafen ist. Ganz nach dem Sprichwort „Jungen Kindern muss man ein sicheres Nest bauen, den älteren muss man Flügel schenken“ (Dieter Hallervorden).
Oder diejenigen, die dieses Glück eben nicht hatten und sich nicht so geliebt fühlen konnten, wie sie sind. So kam dementsprechend das Bedürfnis auf, sich anderen gegenüber zu beweisen (meistens die eigenen Eltern). Um sich von dem schwer auszuhaltenden Gefühl des „nicht geliebt seins“ abzulenken, findet man dann irgendwann eine Sache, für die man wirklich brennt und die einem dieses Gefühl scheinbar ersetzt. Bei Jean Pierre waren das Autos, bei mir der Computer und dessen Einzug in die Musikproduktion. Aus Angst zu versagen, geben dann diese Leute ihre gesamte Energie in das Herzensprojekt und werden deshalb oft so außergewöhnlich erfolgreich. Und wenn man dann erfolgreich ist, rückt die Angst mehr und mehr in den Hintergrund. Man wird älter, arbeitet, genießt die finanzielle Freiheit und das Ansehen und irgendwann wird das Erreichte dann von „erstrebenswert“ auf „normal“ abgestuft. Was dann passiert ist wirklich spannend…
Die Glückshormonausschüttung, die man die ganzen Jahre durch seinen Erfolg stimulieren konnte, fällt nach und nach weg und die alte Angst des „nicht genügen“ kommt langsam wieder an die Oberfläche - sie war nie weg, nur weggedrückt. Ab diesem Zeitpunkt steht man an einer entscheidenden Weggabelung: Schaffe ich es, mich mit mir und meinem bisherigem Leben objektiv auseinander zu setzen oder suche ich mir die nächste „Betäubungsfalle“ und werde vielleicht noch erfolgreicher (zumindest materiell)? Ich weiß nicht, wie oft ich in die Falle getappt bin - im Rückblick würde ich sagen ein oder zwei mal. Dann nahm ich mir Zeit genauer hinzuschauen….ein lohnender Prozess, auf den ich jetzt nicht weiter eingehen möchte, da er wirklich sehr individuell ist und zu den unterschiedlichsten Ergebnissen führen kann. Jean Pierre geht in seinem Buch nicht soweit, wer allerdings die Videos verfolgt hat auch in der letzten Zeit feststellen können, dass er (glaube ich jedenfalls) auch an diesem Punkt angekommen ist. Ich glaube, jetzt beginnt wahrscheinlich die spannendste Zeit in seinem Leben und ich wünsche ihm alles Gute dafür. Natürlich gibt es zwischen den zwei eben genannten Extremen noch viele verschiedene Nuancen, aber diese beiden („sicherer Hafen“ vs. „allein gelassen“) spielen immer eine Rolle.
Spannend finde ich, dass viele Menschen die richtig erfolgreichen Menschen beneiden, aber sich nie die Frage stellen: Hätten Sie sich wirklich so ein Leben gewünscht und ich meine eben nicht nur den bekannten, erfolgreichen Teil? Diese Frage ist schwer zu beantworten - ich glaube, wenn man durch Angst zum Erfolg getrieben wird und an der entscheidenen Stelle die Aufarbeitung gut schafft, hat man danach wirklich ein großartiges Leben. Ob man wirklich glücklicher ist, als jemand, der ohne großen Schwankungen durch’s Leben geht … keine Ahnung. Ich kann nur für meinen Lebensweg sprechen und dieser Weg war für mich genau der Richtige und ich bin mehr als zufrieden. Ob auch Menschen, die in ruhigem Fahrwasser durchs Leben gekommen sind, eine Rückschau gut tut, kann ich leider nicht beantworten. Ich glaube es ist nicht zwingend nötig. Wahrscheinlich kommt das ganze automatisch in der sogenannten Midlife-Crisis. Da ich mich auch gerade in diesem Alter befinde, kann ich das bestätigen. Meine Aufarbeitung der Angstgetriebenheit hatte ich mit 28 und seit dem hat sich sehr vieles verändert. Aktuell sind es eher so die Kleinigkeiten, die man sich noch einmal anschaut und es wird einem auch in kleineren Dingen klar, was man möchte und was eben nicht mehr - ich nenne es einfach mal „man wird klar(er)“. Somit wurde bei mir aus dem jugendlichen „Angstantrieb“ der „Flussantrieb“ oder anders gesagt: Meine Gefühle, meine Wünsche und mein Leben wurden zu meiner wichtigsten „Herzensangelegenheit“. Mehr ist für ein glückliches Leben aus meiner Sicht nicht zu tun.
Bleibt gesund und wach!
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