
In den letzten zwei Tagen habe ich das Buch “WHAM! - George & ich” von Andrew Ridgeley verschlungen. Das Buch ist leichte Kost und angereichert mit sehr viel Fotomaterial, so dass es keine große Herausforderung ist, es in zwei Tagen zu lesen. Viele Fakten aus dieser Zeit hatte ich natürlich als damaliger Fan schon gewusst, aber das ganze mit dem heutigen Abstand und Alter zu lesen, war doch ein Erlebnis.
Wham! und später George Michael (Bürgerlich: Georgios Kyriacos Panagiotou) waren für mich als Teenie ein großer Anker. Die erste Single, die mir zu Gehör kam war “Young Guns” im Jahre 1982 - da war ich 10 Jahre alt. Mein Vater hatte meine Mutter und mich kurz vorher verlassen und wir zogen damals in einen Wohnblock in einer fremden Stadt. Ich kann mich noch gut an dieses Gefühl von damals erinnern - kann ich heute noch mit voller Wirkung abrufen. War eine sehr schwere Zeit für mich und ich glaube deshalb, wurde diese Band für mich auch so wichtig. Jetzt nicht für meinen späteren musikalischen Werdegang, aber das Image, welches die beiden verkörperten, sprach mich an. Die revolutionären Teenies, die dem Alltag strotzen und machen, was Ihnen gefällt. Das wäre mein großer Traum damals gewesen und ich kann nicht sagen, wie oft ich die Videos und die Musik mir damals angeschaut bzw. angehört und geträumt habe.
Die beiden - speziell aber George - begleiteten mich dann durch die Pubertät bis zum jungen Erwachsenen. 1987 erschien sein erstes Solo-Album “Faith” und ich erinnere mich noch gut, als die erste Single “I Want Your Sex” veröffentlicht wurde und ich die Maxi-Single als Vinyl im Plattenladen meiner Wahl erstanden hatte. Boa - ich war unfassbar glücklich. 1987 wurde ich 16 Jahre alt und das Thema passte natürlich wie “Arsch auf Eimer”. Die Computer waren natürlich nach wie vor an erster Stelle, aber die Hormone machten sich bemerkbar und man wurde mehr und mehr durch das andere Geschlecht abgelenkt. Ich war ja eher der schüchterne Typ, deswegen hatte ich es da nicht wirklich leicht - also gab es genug Zeit zum Musik hören und träumen. Jeden morgen vor der Schule - meine Mutter schlief immer noch - hing ich an der Stereoanlage im Wohnzimmer und drehte den Kopfhörer auf, bis es krachte. Mit geschlossenen Augen vergaß ich das dunkle Wohnzimmer und stand auf der Bühne vor kreischenden Fans. In der Schule war ich natürlich der Coolste mit diesen Megahits und Angst um die Zukunft hatte ich auch keine. “Mist - schon nach halb Acht, jetzt muss ich aber los zur Schule….Ok, einmal geht noch!”. Auf dem Schulweg hat mich dann die Realität wieder voll und ganz eingeholt und ich war wieder der introvertierte, zurückhaltende Teenie - ohne Hits.
Als das Album und die zweite, gleichnamige Single “Faith” veröffentlicht wurde, gab es kein Halten mehr. Ich hatte das Teil im Radio gehört und auf Kassette aufgenommen, da die Platte erst eine Woche später in die Läden kam. Album und Single stürmten die Charts und als ich in der wöchentlichen Musik-Fernsehsendung “Formel Eins” erfuhr, dass es in England und USA auf Platz 1 war, hab ich mich gefreut, als wäre es wirklich von mir. Kann mich noch sehr gut daran erinnern - einfach unglaublich. Ich konnte mir diese extreme Verbundenheit zu George nicht erklären, aber jetzt kenne ich dank diesem Buch seine Geschichte noch etwas besser. Auch er musste - bedingt durch einen Umzug - seine alten Freunde zurück lassen, die Schule wechseln und stand als fremder, schüchterner, leicht pummeliger Junge vor einer neuen Klasse. Er vergrub seine Sehnsüchte damals auch ganz tief in sich drin und versuchte im Jungle der anderen pubertären Teenies zu überleben. Kam mir alles sehr bekannt vor. Laut seiner Aussage, war sein Glück die Freundschaft mit Andrew. Andrew war der coole, gutaussehende, souveräne Teenie, der den jungen Georgios unter seine Fittiche nahm und ihn Antrieb. Bei mir war das damals mein Jugendfreund Alessandro, mit dem ich dann auch meine ersten Band gründete. Band kann man das nicht nennen, aber wir sind wie die Wilden mit Casiokeyboards durch die Wohnzimmer unserer Eltern gesprungen. Er war - genau wie Andrew - ein Sunnyboy, der kein Problem mit Mädchen hatte und das Glas war immer halbvoll. Wenn man die Fotos von Andrew & Georgios und Alessandro & mir vergleicht, ist es wirklich zum schießen. Natürlich sahen wir komplett anders aus, aber die Mischung der beiden Charaktere passt perfekt. Alessandro hatte auf mich damals einen guten Einfluss, auch wenn unsere Freundschaft später dann auseinander ging. Nicht im Bösen - es hatte sich einfach auseinander gelebt. Georgios war natürlich mit einem unglaublichen Gesangs- und Musiktalent gesegnet, aber ohne Andrew hätte er das nie ausgelebt und die Kunstfigur George hätte es nie gegeben. Als ich das so alles laß, entdeckte ich sehr viel Parallelen zu mir und meiner Jugend. War eine schöne Zeitreise.
Leider manövrierte er sich durch den immensen Erfolg und die Spaltung der zwei Personen in ihm, in einen immer mehr unerträglichen Zustand. Sein Herz versagte am 25. Dezember 2016 mit nur 53 Jahren. Die Nachricht hatte mich damals auch schwer getroffen, obwohl ich mich seit Jahren nicht mehr mit ihm und seiner Musik beschäftigt hatte. Irgendwie starb da auch ein Teil meiner Jugend, mein imaginärer Erfolg und die endlosen Konzerte im dunklen Wohnzimmer, morgens um 7.30 Uhr. Damals hätte ich mir nichts sehnlicher gewünscht, als in seine Fußstapfen zu treten - Gott sei Dank hat dass nicht geklappt. Wer weiß, wie das alles geendet hätte - da geht es mir doch heute deutlich besser. Ziemlich oft stecken hinter großen Erfolgen auch große Wunden, ich denke dem ein oder anderen fallen da auch sofort ein paar Beispiele ein. In meiner “Weisheitenliste” habe ich einen Spruch aufgenommen, der mich damals sehr nachdenklich gestimmt hat:
“Wo die Wunde eines Mannes sich befindet, dort ist auch sein Genius lokalisiert.” (Mircea Eliade, aus „Männer auf der Suche“ von Steve Biddulph)
Ich glaube da ist viel wahres dran - gilt meiner Meinung nach für Frauen natürlich genau so. Es ist schon unfassbar, wieviele Verhaltensweisen man sich aneignet um immer noch Anerkennung und Liebe zu ernten - meistens von Leuten, die man selber gar nicht gut kennt oder leiden kann. Ich kann mich an ein Seminar erinnern, wo es der Psychologe schaffte, fast jede nicht erklärbare Verhaltensweise auf die Kernfrage “Hast Du mich lieb, Papi (oder Mami)?” zurück zu führen. Mir läuft es jetzt noch Eiskalt den Rücken runter und mir und meiner Frau kommt dieser Satz immer zu genau den richtigen Problematiken über die Lippen. Da steckt viel Kraft dahinter.
Und so hilft selbst so leichte Kost, wie “Wham! George und ich” dabei, sich mehr und mehr ein Stück selbst zu finden. Wirkt natürlich nur, wenn man selbst dazu Assoziationen zu seinem Leben und in meinem Falle zu seiner Jugend hat. Wenn man kein Fan von Wham! und George Michael war bzw. ist, braucht man dieses Buch natürlich nicht lesen. Aber Dank dem Internet findet man ja heute über so gut wie jeden Star aus der Vergangenheit einige Infos - könnte sich für den ein oder anderen Lohnen, mal ein Blick auf die Biografien der eigenen Helden aus der Pubertät zu werfen. Kann mir gut vorstellen, dass das für den ein oder anderen einige Emotionen mit sich bringt, die etwas tiefer unter die Oberfläche blicken lassen.
Bleibt gesund und wach!
Der Titel am Ende des Podcasts ist "Amazing" von "George Michael"
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