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Ich bin kein Algorithmus



Wir leben in einer digitalen Welt und das wird mit Sicherheit in den nächsten Jahren noch zunehmen. Alles was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert werden und da werden Dinge dabei sein, die wir uns aktuell nicht im Entferntesten vorstellen können. Ich persönlich bin ja ein Technik-Freak und ich finde das richtig spannend. Die Kehrseite der Medaille ist natürlich „der gläserne Mensch“ und die „totale Überwachung“ - ein dauerpräsentes Thema.


Ich persönlich finde ja vieles davon durchaus nützlich - auch manche Dinge, die vielen vielleicht schon bitter aufstoßen. Zum Beispiel die personalisierte Werbung: Ich finde es super, wenn mir zum großen Teil nur noch Sachen angezeigt werden, die mich auch wirklich interessieren. Da ergibt Werbung doch viel mehr Sinn - für den Konsumenten und den Hersteller. Allerdings habe ich über die letzten Jahre gemerkt, dass mir mehr und mehr die gleichen Sachen angezeigt werden - hauptsächlich zum Beispiel Geräte und Software aus dem professionellen Audiobereich. Das fand ich jahrelang auch wirklich gut, allerdings habe ich mich von dieser Branche ja mehr oder weniger verabschiedet und mich interessieren jetzt andere Dinge. Wie oft muss ich jetzt eigentlich andere Suchbegriffe eingeben und Dinge im Internet kaufen, bis die Algorithmen dass kapieren, oder muss ich mich jetzt den Rest meines Lebens mit Werbung für Dinge abfinden, die mich doch nicht mehr so sehr interessieren? Bei Filmen fällt mir das übrigens auch schon lange auf: Die Vorschläge von Netflix und co. treffen bei mir so gut wie nie ins Schwarze. Die liegen bei mir bestimmt zu 80 Prozent daneben. Das brachte mich zu seiner spannenden Frage:


Passt sich der Algorithmus eher der Gegebenheit oder die Gegebenheit dem Algorithmus an?


Je mehr ich in diese digitale Welt schlittere, desto mehr fallen mir die Ungereimtheiten auf, wie die eben beschriebene Werbeflut. Mehr und mehr drängt sich mir der Gedanke auf, dass - je mehr alles vorhersehbar ist - immer mehr Menschen von der Wahrscheinlichkeit abweichen. Ist bzw. kann dass dann auch im Algorithmus berücksichtigt werden? Da wird das ganze System dann ja richtig spannend. Führt diese ganze Vorausberechnung der Verhaltensweise im Ende nicht vielleicht dazu, dass ich immer unberechenbarer werde?


Aktuell ist ja wieder Wahlkampf in den USA und da ist dieses Thema ja auch Omnipräsent. Schon bei der letzten Wahl wurde ja vermutet, dass geschickte Manipulationen in den sozialen Medien, Donald Trump zum Sieg verholfen haben. Ich kann mich gut an die Diskussion über „Cambridge Analytica“ und „Facebook & Co.“ erinnern. Angeblich konnte Anhand von wenigen „likes“ ziemlich genau definiert werden, wie eine Person politisch tickt, welche Vorlieben sie hat und wen sie wahrscheinlich wählen wird. Klingt im ersten Moment recht weit hergeholt, aber wenn man sich die immense Datenmenge jedes Users vor Augen führt, kann dass schon schlüssig sein. Die letzten Tage habe ich gehört, dass Donald Trump wohl wieder die Wahl gewinnen wird, da die großen Techkonzerne auf seiner Seite sind und die das Meinungsmonopol haben. Bin mal gespannt wie es ausgeht.


Auch in dieser ganzen Corona-Zeit wurden ja sehr viele Entscheidungen aufgrund von Wahrscheinlichkeitsberechnungen und Statistiken durchgeführt. Wie man jetzt im Nachhinein sieht, lag man da ja auch mehr als einmal falsch. Die statistischen Horrorszenarien sind ja Gott sei Dank nicht eingetreten. Es gibt ja auch den schönen Spruch: „Traue keiner Statistik, die Du nicht selbst gefälscht hast“. Wer sich ein bisschen mit Statistik auskennt, weiß wie einfach man das Ergebnis verändern kann - ohne zu lügen. Einfach die Relevanz der Daten etwas anpassen, die Darstellungsmodi ändern und schon sieht alles ganz anders aus. Ich hatte vor einigen Wochen ein sehr nettes Erlebnis: Ich habe auf der T-Online Homepage eine Umfrage zum Thema Impfpflicht mitgemacht und abgestimmt. Nach der Abstimmung kam das Ergebnis und es zeigte, dass sich ein Großteil dafür ausgesprochen hat. Unten rechts in der Grafik gab es einen Button, mit der Aufschrift „Repräsentativ“. Wenn man da drauf klickte, konnte man das ganze in „Rohdaten“ ändern und schwups - das Ergebnis war auf einmal umgedreht. Die meisten waren dagegen, na sowas :).






Ich persönlich glaube, dass jede Statistik immer nur dass aussagt, was die Meinung der Ersteller ist. Es spielt einfach zu viel unterbewusste Subjektivität mit.


Ist es vielleicht sogar schon soweit, dass durch die ganzen Algorithmen, Statistiken und Wahrscheinlichkeiten Entscheidungen getroffen werden, die genau ins Gegenteil des gewollten führen? Entsteht vielleicht durch den ganzen Datenoverkill ein völlig verdrehtes Bild? Der Verdacht drängt sich mir mehr und mehr auf.


Da fällt mir noch ein weiteres Beispiel ein: Wie ihr ja wisst, bin ich viel an der Börse unterwegs und aktuell herrscht da auch eine wirklich witzige Situation. Als durch die Krise die meisten Kurse eingebrochen sind, haben jede Menge „Neulinge“ Aktien gekauft. Allein in Amerika waren es über drei Millionen neue Privatanleger, die ins Börsengeschehen eingestiegen sind. Die Kurse sind daraufhin sehr schnell wieder gestiegen und viele der alten Großinvestoren sind noch gar nicht mit dabei. Der Einstieg dieser Neulinge macht für die Alten das Szenario an den Börsen mehr und mehr unberechenbar. Aktuell ist es so, dass keiner eine genaue Prognose wagt, wie es weiter geht. Selbst das Computersystem „Aladdin“ von Black Rock mit Börsendaten von über 30 Jahren kommt in Schwierigkeiten. Werden die Märkte nochmal einstürzen und ein Großteil der Neulinge sich wieder verabschieden oder kommen immer mehr dazu und der zweite Kursabsturz bleibt aus. Wer das jetzt zu 100 Prozent wüsste, wäre bald ein reicher Mann. Das erinnert mich an die „Chaostheorie“ aus dem Film Jurassic Park - schön erklärt von dem Schaupieler Jeff Goldblum in seiner Rolle als Dr. Ian Malcolm: Der Wassertropfen, der auf der Hand liegt und jedesmal in eine andere Richtung läuft - zufällig beeinflusst von Millionen kleinster, fast nicht sehbarer Härchen auf der Haut. Nur ein Individuum langt um den Verlauf zu ändern.


Oder nehmen wir Musik. Ich weiß nicht, wie es euch so geht, aber ich wundere mich bei ganz vielen Musikstücken in den Charts, wie die Dinger da eigentlich hingekommen sind. Ok, ich bin nicht mehr der Jüngste und die nächste Generation hat halt eben einen anderen Geschmack. Das war ja schon immer so. Was aber meiner Meinung nach auffällig ist: Ich habe inzwischen viele junge Menschen getroffen, denen es ebenfalls so geht - sie können mit dieser ganzen neuen Musik nichts anfangen und sind - ich zitiere: „...neidisch, dass ihr in eurer Jugend diese ganzen tollen Bands hattet.“ Ich kann mich nicht erinnern, dass in meiner Jugend solche Aussagen gefallen sind - zumindest nicht in dieser Häufigkeit. Klar fand man einige der alten Bands auch gut, aber maßgebliches Gefallen fand man doch an der aktuellen Musik. Woran liegt das?


Kann es sein, dass durch die ganzen „Likes“, „Streaming- und Klickzahlen“ ein völlig falsches Bild entsteht und uns im Ende die ganzen Algorithmen Zeug vorspielen, was uns überhaupt nicht interessiert? Und wenn wir dann mal wieder sagen: „Hey Alexa, hallo Siri - spiele aktuelle Musik“ dann nur noch Zeug abspielt, was wir gar nicht hören wollen? Diese Plays generieren dann aber wieder höhere Streamingzahlen und so steigen die Titel immer weiter nach oben?! Wenn man dann noch bedenkt, dass es ja seit Jahren ganz normal ist, künstliche Klick- und Streamingzahlen zu erzeugen, wird dies doch ziemlich offensichtlich.


Wie entdecke ich in dieser ganzen vorausberechneten Welt eigentlich neue Dinge? Wie wird mein Interesse geweckt? Früher habe ich als Kind vor Weihnachten zum Beispiel immer sehr gerne Werbefernsehen geschaut. Da gab es immer die neuesten Spiele - mein Favorit damals immer der Werbespot „M.B. Präsentiert“ - die älteren werden sich noch erinnern. Da wurden dann immer gleich mehrere Spiele vorgestellt ohne eine lästige „Filmunterbrechung“. Und das tolle war: Die wussten nicht, was man mag - da lief ja auch für Millionen Menschen das gleiche. Da habe ich doch regelmäßig spannende, neue Sachen entdeckt, nach denen ich sonst nie gesucht hätte. War bei Musik übrigens auch so - man lauschte Musiksendungen und hörte sich querbeet alles an. Vieles nervte - klar, aber auf einmal kam da ein Song in einer Musikrichtung, die einen eigentlich gar nicht interessiert - aber der Song war MEGA! Ich glaube die Möglichkeit so etwas Neuem zu begegnen, ist heute deutlich kleiner, oder? Nach all diesen Gedanken drängt sich mir ein spannendes Fazit auf:


Ich bin kein Algorithmus


Egal wie sehr das eigene Verhalten berechnet wird: Die Wahrscheinlichkeitstreffer liegen bestimmt ziemlich gut, gerade für größere Gruppen - aber nicht für das Individuum. Wie ich mich entscheide, kann kein Algorithmus der Welt mit hundertprozentiger Sicherheit vorhersagen - und er wird es auch nie können. Auch wenn ich nur aus „Prinzip“ das Gegenteil von dem wähle, was ich eigentlich nehmen wollte .... das bleibt unberechenbar. Auch wenn die Statistik sagt, dass Raucher zu 70 Prozent Lungenkrebs bekommen oder das Übergewichtige zu 80 Prozent einen Herzinfarkt erleiden - ob es genau bei mir so ist, weiß keiner. Das gibt mir ein wirklich gutes Gefühl und ich sitze gerade mit einem breiten Grinsen hier am Computer, während ich diese Zeilen schreibe. Eine ungewisse Zukunft ist doch irgendwie viel spannender. Der Mensch ist und bleibt in letzter Instand unberechenbar und deswegen hoffentlich auch


gesund und wach!


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