Nicht das einer meiner Leser bzw. Zuhörer jetzt denkt, ich sei unter die Gärtner gegangen und überhaupt: Was für Früchte erntet der denn im Winter?! Nein - weit gefehlt. Den grünen Daumen überlasse ich lieber meiner Frau, die kann das deutlich besser. Lediglich eine Palme hat mich über Jahrzehnte begleitet, alle anderen Pflanzen habe ich zu Tode gepflegt.
Der Begriff der niedrig hängenden Früchte wird in der Finanzwelt gerne benutzt und beschreibt die Leichtigkeit, mit der man sich das Geld der Bürger unter den Nagel reißen kann: Steuern, Solidaritätsbeiträge, Immobilien - um ein paar offensichtliche zu nennen. Es erstaunt mich doch immer wieder, mit welcher Selbstverständlichkeit von der Großfinanz in Zusammenarbeit mit der Politik solche Begriffe benutzt werden, um den kleinen Mann ein Teil seines Hab und Guts zu nehmen. Das ist da ja auch recht einfach: Wer kann schon sein mühsam Erspartes mal so eben unbemerkt ins Ausland transferieren, die Goldbarren im Garten vergraben oder seine Immobilie umziehen. Das bleibt natürlich nur der Oberschicht vorbehalten, die es - selbst wenn sie betroffen wäre - danach immer noch deutlich besser hätte, als “Otto Normal”. Ich will hier aber keine “Die Reichen sind schuld” Diskussion starten - das wird viel zu oft gemacht und ist meist nur polemisch.
Als ich vor ein paar Tagen an einer Investorenbesprechung teilgenommen habe, fiel dieser Ausdruck, als es um die zukünftige Besteuerung der heimischen Immobilien ging und wie man damit am Besten umgehen könne. Nach einem kurzen Moment des Ärgers, kam ich in den Analysemodus und mir ist aufgefallen, wie sehr die Mehrklassengesellschaft existiert. Ich glaube nicht, dass der Wortführende damit jemanden verletzen wollte - nein, er beschrieb damit einfach irgendwelche anderen, armen Leute weit, weit weg von seiner Kaste. Da ich nun wirklich eins der kleinsten Lichter in dieser Runde war, hab ich mich durch diese Bemerkung angesprochen gefühlt. Als ich mehr darüber nachdachte fiel mir dann aber auf, wie oft ich schon solche Bemerkungen gemacht habe, ohne dass ich es bewusst mitbekommen habe.
Neulich zum Beispiel fragte mich eine gute Bekannte, wie Teuer die Miete für den Tesla war, den ich vor geraumer Zeit einmal für ein paar Tage gefahren bin. Ich antwortete: “War gar nicht so teuer, so um die 1000,- Euro”. Daraufhin machte sie einen geschockten Eindruck und meinte, dass das fast ihr Monatsgehalt wäre. Wir haben uns dann ein bisschen darüber unterhalten und uns ist aufgefallen, wie groß der finanzielle Unterschied ist und dass wir darüber - obwohl wir uns schon sehr lange kennen - nie wirklich nachgedacht hatten. Ist ja auch völlig egal, wenn man sich gerne mag und gut versteht. Ich würde mich selbst auf keinen Fall als besonders wohlhabend bezeichnen - es geht uns halt gut und wir kommen gut zurecht, so wie sie auch. Gefühlt also quasi gleich, aber doch ein riesiger Unterschied. Und schwups - fällt eine Bemerkung, die den anderen trifft und die gar nicht böse gemeint war. Ich glaube dem Referenten in der Investorengruppe ging es genau so und ich fühlte mich einfach nur angesprochen. Wie so oft bei Missverständnissen.
Wenn ich an meinen Freundeskreis denke, sind wir alle auf einem ähnlichen Level: Alle haben ein schönes zu Hause, nette Familien, Freunde und das Geld langt auch. Mit Sicherheit zwei Kasten unter der Investorengruppe, aber auch eine Kaste - und nicht die niedrigste. Liegt uns bis jetzt noch fern darüber nachzudenken, wie die nächste Mahlzeit bezahlt werden soll. Diese kurze Bemerkung über die “niedrig hängenden Früchte” hat mich mal wieder etwas wachgerüttelt, wie gut es uns doch geht. Die Leute, denen es schlechter geht sind gefühlt so weit weg, aber sie wohnen wahrscheinlich direkt um die Ecke - und wie schnell kann man selbst weiter unten landen … es lohnt sich ab und zu darüber nachzudenken. Egal ob Krankenschwester, Musiker oder Investor - letztendlich alles Menschen, die versuchen so gut es geht durchs Leben zu kommen und jeder sieht meist nur sich selbst und seines gleichen - dabei sind die anderen viel näher, als man denkt. Die Normalität ist immer sehr subjektiv - das ist doch direkt einen Gedankentransport wert.
Bleibt gesund und wach!
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