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Nur für dich

  • Misar
  • vor 12 Minuten
  • 3 Min. Lesezeit

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„Für dich würde ich alles tun.“

„Das mache ich ja nur für dich.“

Oder: „Ich stelle mich da ja hinten an.“

Manchmal auch: „Die Kinder sind das Wichtigste.“


Klingt das nicht selbstlos, warm und edel? Menschen, völlig gelöst vom eigenen Ego, immer nur für andere da.

Neulich habe ich einen Satz aufgeschnappt, der mich über genau diese Art von Selbstlosigkeit nachdenken ließ:


„Das tue ich nur für dich. Das ist keine Selbstlosigkeit – das ist Selbstinszenierung.“


Es lohnt sich, genauer hinzuschauen. Nicht um jemanden zu entlarven, sondern um zu verstehen, was da eigentlich passiert.


Wenn Geben eine Rolle wird


Viele Menschen tun viel für andere. Das ist erst einmal nichts Negatives. Im Gegenteil: Gesellschaft, Familie und Beziehungen würden ohne dieses Geben nicht funktionieren. Aber es gibt einen feinen Unterschied zwischen echtem Dasein und gespielter Selbstlosigkeit.


Echte Fürsorge ist leise.

Sie braucht keine Bühne.

Sie erklärt sich nicht ständig selbst.


Die andere Variante hingegen erzählt viel. Sie betont das Opfer und lebt von dem Bild, das dabei entsteht.


Ich bin der Mensch, der immer gibt.

Ich bin der Mensch, der sich aufopfert.

Ich bin der Mensch, der zurücksteckt.


Und genau hier wird es spannend. Denn oft geht es dann weniger um den anderen als mehr um das eigene Selbstbild.


Selbstinszenierung statt Hingabe


Wenn jemand sagt: „Ich tue das ja nur für dich“, schwingt manchmal etwas mit, das schwer greifbar ist: eine Erwartung, ein stiller Anspruch oder zumindest der Wunsch, gesehen zu werden. Das Geben wird Teil einer Identität und diese Identität will bestätigt werden.


Das Problem ist nicht das Geben an sich.

Das Problem ist, wenn es nicht ehrlich ist.


Denn dann entsteht eine Lücke zwischen dem, was gesagt wird, und dem, was tatsächlich gelebt wird.

Ich habe das bei meiner Mutter erlebt. Und mir ist wichtig, das klar zu sagen: Sie hat viel für mich und andere getan. Sie hat unterstützt, war präsent und war keine schlechte Mutter oder Großmutter – ganz im Gegenteil. Und doch gab es da etwas anderes.

Die Rolle der guten Frau, die immer für andere Leid auf sich nimmt, war tief in ihr verankert. Nach außen passte dieses Bild gut zu ihr. Und trotzdem war sie oft wenig oder gar nicht wirklich für mich da.

Später sprach sie oft davon, wie sehr sie die Enkelkinder liebt. Wie wichtig sie ihr sind. Wie gerne sie Zeit mit ihnen verbringen möchte. Und das stimmte auch – bis zu einem gewissen Punkt. Wenn es konkret wurde und mehr als ein oder zwei Stunden dauerte, kamen Ausreden. Termine. Erschöpfung. Gründe, warum es gerade doch nicht ging.

Es war keine Ablehnung der Enkelkinder. Es war eine Unehrlichkeit sich selbst gegenüber. Und ich bin mir nicht sicher, ob sie das selbst wirklich bemerkt hat.

Ich glaube, sie hätte sich viel Druck genommen, wenn sie einfach gesagt hätte:


„Ich nehme die beiden gerne für ein oder zwei Stunden, aber dann möchte ich gerne wieder Zeit für mich.“


Das wäre für uns völlig in Ordnung gewesen. Man hätte es eingeordnet, akzeptiert und wäre entsprechend damit umgegangen. Doch ehrlich zu sich selbst zu sein hätte bedeutet, ein Bild loszulassen – das Bild der aufopfernden Großmutter. Und vielleicht war genau das schwerer als jede Absage. Ich schreibe das nicht, um zu urteilen. Ich schreibe es, weil ich glaube, dass viele Menschen genau so leben. Nicht aus Bosheit oder Kälte. Sondern aus Angst, sich selbst ehrlich zu begegnen und die eigenen Wünsche nicht länger hinten anzustellen.


Denn Ehrlichkeit hat Konsequenzen. Sie kann irritieren, Erwartungen enttäuschen und Risse im eigenen Selbstbild hinterlassen. Aber wenn man sie vermeidet, zerreißt es einen innerlich. Die eigenen Grenzen zu benennen halte ich für essenziell. Auch wenn es sich für viele wie Lieblosigkeit anfühlt – genau das Gegenteil ist der Fall.


Echte Fürsorge kennt Grenzen


Wirkliche Zuwendung sagt nicht: „Ich mache alles.“

Sie sagt: „Das kann ich geben – und das nicht.“


Ohne Drama.

Ohne Rechtfertigung.

Ohne Schuldgefühle.


Kinder spüren das übrigens sehr genau. Sie merken, ob jemand wirklich da ist – oder nur eine Rolle spielt. Sie lernen früh, sich mit wenig zufriedenzugeben, wenn große Worte im Raum stehen. Das habe ich auch durch meinen Vater gelernt, der oft große Versprechen machte – und sie entweder gar nicht oder nur in Minimalversion einlöste.


Vielleicht ist der eigentliche Unterschied also nicht selbstlos versus egoistisch, sondern: Bin ich ehrlich mit mir selbst? Traue ich mich zu sagen, was ich wirklich will – und was nicht? Oder halte ich an einem Bild fest, das mir Sicherheit gibt und mich auf der Bühne des Lebens positioniert?

Manche Formen von „Für-dich-Sein“ sind weniger Liebe als Selbstvergewisserung und manche Grenzen sind kein Egoismus, sondern Reife.


Vielleicht wäre vieles einfacher, wenn wir seltener sagen würden: „Ich tue das nur für dich.“ und stattdessen öfter: „Das kann ich geben. Das fühlt sich stimmig an.“


Das wäre ehrlicher und wahrscheinlich auch liebevoller.


Bleibt gesund und wach!

 
 
 

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