„Raus aus der Komfortzone“ entgegnete mir meine Frau in unserem gestrigen Gespräch, als es um die Machbarkeit und Sinnhaftigkeit des von ihr vor kurzem begonnen Master-Studiengangs ging. Seit gut zwei Wochen hat das Studium offiziell begonnen und seit dem dominieren Sätze wie: „Ich schaff das nicht“ und „Wo soll ich die Zeit hernehmen“ das Leben meiner Frau und somit auch einen Teil unseres Familienlebens. Sicherlich war vorher schon klar, dass es dazu kommen wird und dementsprechend hat sie auch lange überlegt, ob sie das ganze überhaupt starten soll. Die Entscheidung fiel dann zugunsten des Studiums - allerdings aus meiner Sicht 70:30. Darauf will ich aber gar nicht weiter eingehen - was auch immer diese Entscheidung bringt, werden wir sehen. Ich bin mir sehr sicher, dass es eine gute Entscheidung war und dass sie uns alle auf unseren Wegen weiterbringen wird.
Als meine Frau in Bezug auf die jetzigen Veränderungen den Satz „Raus aus der Komfortzone“ sich quasi selber sagte, entgegnete ich spontan: „Also ich will gerade eher rein in die Komfortzone“. Nachdem ich die von mir gesprochenen Worte selber erst so richtig wahrgenommen hatte, fand ich den Gedanken mehr als spannend - erzählen einem doch viele Leute (vom Freundeskreis bis zu unzähligen Wissenschaftlern), dass es wichtig ist, raus aus der Komfortzone zu gehen. Im weiteren Gespräch kamen wir dann zur Einsicht, dass hierbei eine nicht ungefährliche Doppeldeutigkeit mitspielt.
Was genau bedeutet es denn, seine Komfortzone zu verlassen?
Die Komfortzone wird als der Bereich definiert, in dem man sich selber wohl fühlt, der bequem ist und in dem man keine große Anstrengung benötigt, um den Zustand zu erhalten. Wieso muss ich da denn raus…aus meiner Sicht muss ich da eher rein, oder?
Die Neurowissenschaft erklärt dazu, dass ein Gehirn verkümmert, wenn es sich nicht regelmäßig neuen Herausforderungen stellt. Es ist letztendlich ein Muskel, der bei nicht Nutzung verkümmert. „Den inneren Schweinehund besiegen“ gehört auch zu dieser Thematik, neigt das Gehirn doch dazu, möglichst Ressourcenschonend den Tag zu verbringen. Das finde ich auch absolut einleuchtend. Allerdings langt es nicht, sich eine Wissenssendung und ein Buch nach dem anderen einzuverleiben. Entscheidend ist sich die Neugier zu erhalten, aber nicht nur nach Wissen, sondern auch nach (er)Leben mit allen Sinnen. Das vergessen oft viele, wenn sie sich Unmengen an theoretischem Wissen reinfräsen, aber dabei die Couch nicht mehr verlassen.
So könnte man also meinen, dass es wichtig ist, sich regelmäßig ungemütlichen Zuständen auszusetzen, um in Bewegung zu kommen. Und genau da liegt meiner Meinung nach der große Irrtum. Die Komfortzone zu verlassen, meint nicht es sich ungemütlich zu machen oder etwa unangenehme Zustände ertragen zu müssen. Für mich heißt das ganze, mit Freude meinen Hobbys und meiner Arbeit nachzugehen und regelmäßig neues zu entdecken - gerade auch emotionales. Wer es sich aber absichtlich schwer macht, obwohl er es besser haben könnte, ist meiner Meinung nach auf dem Holzweg. Aber genau da liegt das Missverständnis in „Raus aus der Komfortzone“.
Was mich angeht, so bewege ich mich seit knapp drei Jahren „Rein in die Komfortzone“. Ich genieße mein Leben, erfreue mich an all dem Wunderschönen um mich herum und finde es unglaublich aufregend, was wohl der nächste Tag, teilweise sogar der nächste Moment so bringen mag. Natürlich liege ich nicht nur auf der Couch rum, sondern bewege mich und meinen Geist, ganz nach dem Sprichwort:
„Es gibt Menschen, die sind unbeweglich. Es gibt Menschen, die sind beweglich. Und es gibt Menschen, die sich bewegen.“ (Franklin)
Leider verteufeln viele Menschen fälschlicherweise die Komfortzone und wundern sich dann, dass Sie nie so richtig zufrieden sind. Wie auch, wenn ich die Zone, in der es sich leicht leben und lieben lässt, ständig verlassen will. Das ist für mich genau so absurd, wie die Glaubenssätze zu Geld: Geld ist nicht wichtig, Geld macht nicht glücklich, reiche Menschen sind keine gute Menschen etc. Am Besten immer raus aus der Komfortzone und bloß nicht zu viel Geld besitzen - geiles Leben. Jetzt höre ich schon wieder einige Leute schreien, was ich wohl für ein egoistisches A….loch bin?! Nein, bin ich nicht. Geld ist einfach ein Tauschmittel, nicht mehr und nicht weniger. Es ermöglicht mir aber sehr viele Dinge zu machen, die ich und meine Familie sich wünschen - kurzum: große Entscheidungsfreiheit, deshalb habe ich gerne genug davon.
Klar gibt es einige Dinge in meinem Leben, die ich auch nicht so toll finde - aber die kann man ja ändern. Wenn ich das tue, bewege ich mich dann aus der Komfortzone oder eher in die Komfortzone? Egal, ich bewege mich einfach.
Um den Kreis zurück zum Gespräch mit meiner Frau zu schließen:
Für sie ist der Beginn des Master-Studiums ein „Raus aus der Komfortzone“, obwohl sie das wirklich nicht nötig hätte. Sie hat so viele Interessen und ist so unglaublich vielseitig unterwegs, dass sie auch schon vor Beginn des Studium mit Sicherheit keine Langeweile kannte. Von daher muss sie in der nächsten Zeit gut rein fühlen, ob es das wirklich Wert oder besser gesagt, ob es lebenswert ist. Egal was dabei herauskommt, sich diese Frage bewusst zu stellen, war das ganze schon wert.
Zum Schluß noch ein Wort zu Redewendungen:
Leider sind in unserem allgemeinen Sprachgebrauch so viele falsche Glaubenssätze, dass sie uns sehr oft im Wege stehen. Fast täglich werden Sie uns um die Ohren und um die Augen gehauen und versickern tief in unserem Unterbewusstsein, welches einen großen Teil unseres Verhaltens beeinflusst. Seid aufmerksam, mit was ihr euren Geist füttert.
Bleibt gesund und wach!
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