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Wer nicht in diese Welt zu passen scheint, ist nahe dran, sich selbst zu finden

Aktualisiert: 24. Mai 2020


Die Tage bin ich per Zufall über diesen Satz von Hermann Hesse gestolpert: “Wer nicht in diese Welt zu passen scheint, ist nahe dran, sich selbst zu finden.” (aus “Demian”) Der hat mich irgendwie tief berührt und zum Nachdenken angeregt und ist natürlich direkt in meine “Weisheitenliste” gewandert. Was genau ist eigentlich “diese Welt”? Ich würde behaupten, “diese Gesellschaft” passt besser als “diese Welt”. Denn auf die Welt passen alle Lebewesen - auch der Mensch. Je mehr ich darüber Nachdenke, bin ich mir gar nicht mehr sicher, was der Mensch eigentlich ist. Wissen wir, wer wir sind? Ich habe gerade das Gefühl, dass ich zu großen Teilen überhaupt nicht ich bin, sondern nur eine Rolle, die mir beigebracht wurde. Oh - ich glaub, ich hör jetzt lieber auf nachzudenken…Mist, geht nicht ;-)


Was wäre eigentlich passiert bzw. was würde passieren, wenn man Menschen nicht in den Kindergarten, in die Schule, Ausbildung, Studium etc. schickt und sie sich einfach entwickeln lassen würde? In der aktuellen Situation scheint das natürlich völlig undenkbar, aber wie wäre dass, wenn es schon immer so gewesen wäre? Wer kam eigentlich auf die Idee eine Schule einzurichten? Ich meine mal gelesen zu haben, dass das ursprünglich von der Kirche kam - natürlich damals ganz im Sinn von “neue Gläubige heranziehen”. Wie kam man eigentlich auf die Idee, der Mensch käme ohne Ausbildung nicht zurecht? Man könnte das Wort ja auch zerlegen….dann ist es aus mit der Bildung. Im Wort Bildung steckt ja auch das Wort Bild - also etwas sehen und erlernen, was ich beobachte. Also praktisch - “learning by doing” und nicht “learning by reading and talking”. Irgendwie reden doch alle zu großen Teilen doch nur noch über Wissen, was sie selbst gar nicht erfahren haben. Und darauf werden dann auch noch wichtige Entscheidungen getroffen. Ganz schön gruselig diese Vorstellung. Nicht das ich etwas gegen Bücher und Wissen an sich sagen möchte - aber hinterfragen wir eigentlich genug, was wir so alles wahr nehmen? Da kommt mir wieder ein Spruch aus meiner Sammlung in den Sinn: “Kühner als das unbekannte zu erforschen, kann es sein bekanntes zu bezweifeln.” (Kaspar - ich habe das mal in einem Vortrag von Vera F. Birkenbihl gehört) Der Satz beeindruckt mich heute genau so stark wie damals. Wieso nehmen wir eigentlich so viele Dinge einfach ungefragt hin und richten uns danach? War halt schon immer so …. das weiß man doch...geht halt nicht anders.


In den letzten Tagen habe ich ein Interview mit einem Herrn Christian Felber gehört. Da fiel der Satz “Die Schule ist die Mörderin des Kindes” - das hat mich auch schwer getroffen. Er meinte, dass wir in der Schule völlig an unserem menschlichem Potential vorbei gebildet werden - liegt da der erste große Fehler? Ich persönlich kenne kaum jemanden, der die Schule wirklich genossen hat. Ok - ich bin ehrlich: Ich kenne keinen. Meine beiden Kinder sind auf einer freien Schule - so eine Schule hätte ich mir damals gewünscht. Ist unglaublich zu sehen, wie gerne die beiden doch zur Schule gehen und auch lernen, wenn man ihnen gewisse Freiheiten lässt und sie sich die Dinge selber erarbeiten dürfen. Unser Sohn war die ersten zwei Jahre auf der “normalen” Schule und obwohl er sich so sehr darauf gefreut hatte, war Schule nach einem halben Jahr sch…. Es war wirklich traurig zu sehen, wie schnell sich die Lust auf das Lernen in genau das Gegenteil gedreht hatte. Da wir uns vorher schon einmal mit Waldorf und auch der freien Schule beschäftigt hatten, haben wir dann nochmal den Kontakt zur freien Schule gesucht und mit viel Glück einen Platz in der dritten Klasse bekommen. Paul durfte dann eine Woche dort hospitieren und konnte sich dann entscheiden, ob er auf die neue Schule oder lieber in der alten bleiben möchte. Nach drei Tagen hat er dann von sich aus eine Pro- & Contra-Liste erstellt und wollte auf die neue Schule. Das war wirklich eine Wende von 180 Grad - nicht dass er da alles toll findet, aber das Lernen macht ihm zu großen Teilen wieder und vor allem immer noch spaß. Unsere Tochter haben wir dann direkt dort eingeschult - das läuft bis jetzt auch alles sehr gut.

Obwohl wir uns schon vor der Einschulung von Paul mit alternativen Schulen beschäftigt haben, haben wir ihn doch zuerst auf die “normale” Schule geschickt. Wieso eigentlich? Das macht man halt so. Waldorf- und Freie Schule, die tanzen doch ihre Namen und machen Unterricht im Wald. Was soll man da schon lernen?! Ich glaube genau diese Gedanken liefen mir durch den Kopf, obwohl ich überhaupt keine Ahnung davon hatte. Aber so redet man halt über “die anderen”, die nicht ganz so “Systemkonformen”. Und man will ja keine Außenseiter ranziehen, geschweige denn selbst zu einem werden. Bloß nicht zu sehr auffallen….so bin ich erzogen worden und die meisten die ich kenne auch.


Jetzt gerade geht mir durch den Kopf, welche Leute mich wirklich beeindruckt haben….wenn ich ehrlich bin, sind dass Menschen, die genau das nicht getan haben. Die waren bzw. sind anders, weichen von den vorgekauten Meinungen ab, tun Dinge, die “man nicht macht”. Wieso ist man selbst nicht so geworden? Selbst als wir uns vor einigen Jahren die alternativen Schulen angeschaut haben, waren wir durch und durch positiv beeindruckt und trotzdem “traut” man sich dann nicht?! Was bin ich eigentlich für eine arme Wurst?


Wo liegt denn mein Potential?


Ich gehe mal gedanklich zurück in meine Schulzeit. Was waren denn dort meine Stärken? Mathematik und Englisch waren super! Als später noch Informatik dazu kam, war dass auch sehr gut. Deutsch war ok - alles andere eher im unteren Mittelmaß. Ganz schlecht war ich im Werkunterricht. Ich weiß noch, wie mein damaliger Lehrer mich immer bloßgestellt hat, da mein Holzklotz einfach nicht zum Schiff werden wollte, während die anderen schon fast fertig waren. Ich durfte dann immer zur Strafe den Werkraum fegen. Oder im Sport: Wo mein damaliger Lehrer mich immer vorgeführt hat und jedesmal die Demütigung, wenn Mannschaften gewählt wurden und man als letzter dann zur “großen Freude der restlichen Mannschaft” zugeteilt wurde. Und dann musste eine Mannschaft auch oft das T-Shirt ausziehen, damit man sich erkannte. Da ich schon immer ein paar Kilos zuviel hatte, war auch das für mich eine Schmach. Irgendwie passte ich in viele Fächer nicht so wirklich rein und als eher introvertierter, hatte man auch im Klassenverbund nicht gerade eine herausragende Rolle. Diente das alles meiner Potentialentfaltung? Ich muß gerade echt lachen :)


Was für ein Unsinn war das eigentlich? So sollte ich mein Potential und meinen Platz in der Welt finden? Ach Du Schreck! Gott sei Dank hatte ich das Glück, durch meine Liebe zu Computern und Musik - und Eltern, die kaum Zeit für mich hatten - recht schnell unabhängig von diesem ganzen System zu werden und tun und lassen zu können, was ich für richtig gehalten habe. Vielleicht war es gerade gut, dass mein Vater uns recht früh verlassen und meine Mutter ab dem Zeitpunkt kaum Zeit hatte, da sie viel arbeitet musste. So wurde ich ab dem Alter von 12 Jahren zum großen Teil mir selbst überlassen und hatte sehr viel Freiheiten. Leider haben viele Menschen nicht das Glück - wem auch immer ich danken muss: DANKE! Wenn ich mir versuche auszumalen, wo ich heute wäre, wenn das nicht so gekommen wäre….ein Grauen!


Und jetzt habe ich mein Leben ziemlich gut gemeistert, obwohl mir die meisten Lehrer quasi eine “Lebensunfähigkeitsbescheinigung” ausgestellt haben. Und ich habe zwei Kinder, die ich auf ihrem Weg begleiten darf - eine wirklich verantwortungsvolle Aufgabe. Dieter Hallervorden hat mal in einem Interview gesagt: “Kleinen Kindern muss man ein Nest bauen, Großen muss man Flügel geben”. Das hat mir sehr gut gefallen und ist seit dem mein Leitspruch. Vor allem versuche ich, die beiden sich entfalten zu lassen (soweit dass in unserem System geht). Das ist wirklich nicht einfach, vor allem wenn einem die halbe Welt sagt: Das könnt ihr so doch nicht machen, was soll aus denen denn werden?! Genau - was soll aus denen werden? Vor allem ein Mensch! Und Menschlichkeit bedeutet doch einfühlsam zu sein, zu lieben, großzügig zu sein, respektvoll miteinander umzugehen, Leidenschaften zu entwickeln und all diese Dinge. Wenn ich ehrlich bin, hab ich in meiner Schulzeit und Ausbildung eher genau das Gegenteil gelernt: Sei besser als die Anderen, sei misstrauisch, hilf dir selbst sonst hilft die keiner, dass muss man wissen auch wenn es Dich nicht interessiert….. Das stimmt ja auch, sonst kommt man ja nicht weit in unserer Gesellschaft. Wie sang schon Balou der Bär zusammen mit Mogli im Dschungelbuch: “…und etwas appetitlich ist - greif zu sonst nimmt es Dir ein anderer fort.” Kein Wunder ist die Welt so, wie sie ist.


Könnte also durchaus ein gutes Zeichen sein, wenn man feststellt, dass “man nicht in diese Welt passt”. Zum Abschluss noch ein letzter Spruch aus meiner Sammlung:


“Es ist nicht leicht das Glück in sich selbst zu finden, aber es ist unmöglich, es anderswo zu finden.” (Muhammad Rumi (1207-1273), persischer Mystiker)


Ich hoffe ihr bleibt gesund und wach!



P.S.: Ich habe mich spontan entschieden, einen Titel als Abspann an den Podcast anzuhängen. Falls es jemanden interessiert: der Track ist von "Thomas Cole & Michael Benito" und heißt "An Immoral Wish".


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